Sie schrieb jeden Morgen denselben Satz:
„Hund füttern!“ – klar und groß, direkt auf den Zettel am Kühlschrank.
Auch als der Hund längst nicht mehr kam. Auch als der Napf voll blieb.
Ihre Erinnerungen zerfielen doch ihre Hände wussten noch, was zu tun war.
Bis eines Tages jemand die Liste fand… und ein Herz wieder zu schlagen begann.
🐾 Teil 1: Die Notiz
Friedel Mahler erwachte, wie fast jeden Tag, mit einem leisen Frösteln in den Beinen. Die Heizung war noch nicht an, der Herbst kam früh dieses Jahr. Draußen überzog Nebel die Dächer von Heidelberg wie ein vergessenes Tuch.
Sie zog den Morgenmantel an, tastete mit den Füßen nach den Pantoffeln. Dann ging sie langsam Richtung Küche. Der Weg war ihr vertraut, obwohl in letzter Zeit manchmal Türen nicht dort waren, wo sie sie vermutete.
In der Küche begrüßte sie ein vertrauter Anblick:
Der große weiße Kühlschrank. Und daran – ihr Zettel.
„Hund füttern!“
Sie hatte ihn selbst geschrieben, irgendwann vor Monaten. Vielleicht waren es auch Jahre. Es war einer von vielen Zetteln, doch dieser war der wichtigste.
Friedel lächelte.
„Lupo, du alter Magen, komm schon, du bekommst gleich dein Futter.“
Sie bückte sich mühsam, holte die große Plastikdose unter der Spüle hervor, öffnete sie, ließ das Trockenfutter rasseln. Die Geräusche füllten den Raum. Doch keine Pfoten trappelten. Kein Schwanz schlug gegen die Küchenstühle.
Sie wartete.
„Lupo?“ rief sie leise. Dann etwas lauter: „Lupo! Frühstück!“
Nichts.
Der Napf stand da. Gefüllt. Unberührt.
Wie gestern. Und vorgestern.
Friedel runzelte die Stirn.
„Er schläft wohl noch… der Faulpelz.“
Sie schaute sich um. Ihr Blick schweifte durch die leere Küche, ins Wohnzimmer, zu dem alten Korbstuhl in der Ecke – der war leer.
Ein kurzer, stichartiger Moment der Unruhe huschte durch sie hindurch.
Dann schob sie die Gedanken zur Seite. Vielleicht war er im Garten. Oder im Flur. Oder… auf einem Spaziergang?
Friedel setzte sich an den Tisch. Der Löffel zitterte in ihrer Hand, als sie sich Müsli einschenkte. Sie aß langsam, fast mechanisch. Das Radio war aus. Die Wanduhr tickte laut. Draußen fuhr die Straßenbahn vorbei, sie konnte es hören, aber nicht sehen.
Der Napf blieb voll.
—
In Stuttgart, knapp zwei Autostunden entfernt, saß Nea Mahler an der Kasse ihres kleinen Buchladens. Es war ein Dienstag. Der Laden war leer, bis auf eine alte Dame, die in der Ecke nach Kalendern stöberte. Neas Handy vibrierte.
Unbekannte Nummer. Festnetzvorwahl aus Heidelberg.
Sie zögerte, nahm ab.
„Mahler?“
Am anderen Ende meldete sich eine brüchige Männerstimme.
„Guten Tag. Hier ist Herr Renz. Ich bin Nachbar Ihrer Großmutter…“
Nea setzte sich aufrecht.
„Geht es ihr gut?“
Eine Pause.
„Also… ihr vielleicht. Aber der Hund. Lupo. Er… na ja… ich glaube, er ist gestorben.“
Stille.
„Was?“
„Er lag heute Morgen regungslos im Garten. Ich hab ihn gesehen, als ich rausging. Ihre Großmutter… scheint es nicht wirklich zu merken. Sie hat ihm Futter hingestellt wie immer. Ich wollte Sie nur informieren.“
Nea sah aus dem Fenster, irgendwo in Richtung Norden. Die Straßen flimmerten im Spätsommerlicht.
„Ich fahre heute noch.“
—
Am frühen Abend stand Nea vor der alten Eingangstür in der Klingenteichstraße. Das Haus war wie immer, ein wenig schief, ein wenig charmant. Der Briefkasten überquoll. Niemand öffnete, also benutzte sie den Schlüssel, den ihre Oma ihr vor Jahren gegeben hatte.
„Oma?“
Keine Antwort.
„Ich bin’s, Nea.“
In der Küche fand sie Friedel. Am Tisch. Mit einer halben Banane in der Hand.
„Ach, du bist’s… Bist du… von der Sparkasse?“
„Nein, Oma. Ich bin’s wirklich. Nea.“
Friedel sah sie an, lächelte vorsichtig.
„Nea… Nea… Ach ja. Die mit den langen Haaren.“
Nea nickte, obwohl ihr Haar kurz war.
Dann fiel ihr Blick auf den Napf. Noch voll. Trockenfutter hart geworden.
Daneben ein zweiter Zettel:
„Lupo mag’s nicht, wenn’s kalt ist.“
Neas Kehle zog sich zu.
„Oma, wo ist Lupo?“
Friedel blickte zum Fenster.
„Der schläft bestimmt im Flur. Er war heute Morgen etwas träge.“
Nea schluckte.
„Oma…“
„Ich muss ihn noch füttern!“ Friedel stand auf, griff zur Dose. Ihre Hände zitterten.
„Nein, Oma. Er… er ist nicht mehr da.“
Friedel starrte sie an.
Dann auf den Napf.
Dann zurück.
„Nicht da? Wie meinst du das? Der kommt doch gleich. Er kommt immer.“
Nea nahm Friedels Hand.
„Er ist gegangen. Für immer.“
Friedel sah sie lange an. Dann schüttelte sie sanft den Kopf.
„Nein. Nein, ich hab’s doch aufgeschrieben. Ich hab’s mir gemerkt.“
Sie ging zum Kühlschrank, zeigte auf den Zettel.
„Siehst du? Hund füttern! Ich hab’s nicht vergessen. Ich vergesse nichts!“
Nea fühlte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
„Ich weiß, Oma. Ich weiß.“
—
Später an diesem Abend saßen sie zusammen im Wohnzimmer. Friedel drehte an der alten Stehlampe, die flackerte. Der Korbstuhl in der Ecke war leer. Eine alte Leine hing noch am Haken neben der Tür.
Friedel strickte oder tat zumindest so.
Nea betrachtete den Zettel.
Die Schrift war fest, klar, entschlossen.
„Hund füttern!“
Wie oft hatte sie den wohl schon neu geschrieben?
Nea dachte an ihre Kindheit. An Lupo, wie er sie am Bahnhof begrüßte. An seine nassen Schnauzenküsse. An das Geräusch seiner Krallen auf dem Parkett. An das leise Seufzen, wenn er sich neben Friedel niederließ.
Er war mehr als ein Hund. Er war Friedels letzter Halt in der Wirklichkeit.
Und nun war er fort.
Doch die Liste war geblieben.
—
Aber was, wenn ein Zettel nicht nur erinnert, sondern etwas Neues beginnen lässt?
🐾 Teil 2: Der Stuhl bleibt leer
Der Herbst hatte nun auch den Innenhof erreicht. Die gelben Blätter der Kastanie vorm Haus tanzten leise auf das Pflaster. Nea stand in der Küche und betrachtete den leeren Napf. Er stand da, als wäre er frisch hingestellt worden. Daneben lagen zwei Bröselchen Trockenfutter, sorgsam mit der Hand platziert.
„Er hat heute Morgen nicht so viel Hunger gehabt“, sagte Friedel hinter ihr.
Nea drehte sich langsam um. Ihre Großmutter lehnte am Türrahmen, das graue Haar zu einem lockeren Knoten gebunden, der schief hinter dem linken Ohr saß. Sie trug ihren dicken Strickpullover mit den roten Punkten, den Nea schon als Kind gehasst und geliebt hatte.
„Oma…“, begann Nea.
Doch Friedel hob die Hand. „Er ist nicht gern hungrig ins Bett gegangen. Vielleicht hat er Bauchweh.“
Nea sagte nichts. Ihr Blick fiel auf den Korbstuhl in der Ecke. Dort, wo Lupo immer gelegen hatte. Sein Kissen war noch da, leicht eingedrückt. Als würde er gleich wiederkommen. Als hätte er den Platz nur kurz verlassen.
„Er war heute Morgen ein bisschen müde“, sagte Friedel und ging langsam zum Tisch. Ihre Bewegungen waren vorsichtig, so als fürchte sie, etwas in sich selbst zu erschüttern. „Aber das ist bei älteren Herren ja normal, nicht wahr?“
Nea setzte sich ihr gegenüber. Der Tisch war gedeckt mit zwei Tassen, obwohl sie selbst gar keinen Kaffee getrunken hatte. Daneben stand ein kleiner Teller mit Leckerli. Für Lupo.
„Oma, erinnerst du dich, dass ich gestern gekommen bin?“
Friedel runzelte die Stirn. „Gestern? Nein, heute bist du gekommen. Ich habe dich gesehen, als du durch die Tür bist.“
Nea lächelte sanft. „Ich war auch gestern schon da. Wir haben zusammen gegessen. Ich habe dir beim Kochen geholfen.“
„Ach ja? Das war nett von dir.“ Friedel sah sie an, lange, suchend. „Bist du… du bist nicht die mit dem kurzen Haar, oder?“
„Doch, genau die bin ich.“
Friedel nickte langsam, dann griff sie nach einem Zettel, der am Rand des Tisches lag.
„Siehst du? Ich habe es nicht vergessen.“
Darauf stand wieder derselbe Satz. „Hund füttern!“ Diesmal unterstrichen, zweimal sogar. Die Schrift war krakelig, aber deutlich. Dahinter: ein Herz.
Nea legte die Hand auf das Papier.
„Oma, weißt du, warum du das aufgeschrieben hast?“
„Natürlich“, sagte Friedel. „Weil ich ihn sonst vergesse. Manchmal vergesse ich Dinge. Aber das hier nicht.“ Sie legte den Finger auf das Herz. „Er ist mein Herz.“
Nea senkte den Blick. Ihre Kehle war trocken. Alles in ihr wollte schreien, wollte sagen, dass Lupo nicht mehr da ist, dass er gegangen war, still und ohne Abschied. Aber sie sah in Friedels Augen nicht nur Verwirrung. Da war auch Wärme. Hoffnung. Eine tägliche Aufgabe. Ein Sinn.
Nea trat ans Fenster. Draußen zog ein Straßenbahnzug vorbei. Zwei Tauben pickten auf dem Balkon.
„Oma, wie lange hast du Lupo schon?“
„Dreizehn Jahre. Er war mein bester Zuhörer. Hat nie widersprochen. Und immer gewusst, wann ich traurig war.“
Nea lächelte schwach. „Ich weiß. Ich erinnere mich.“
Friedel stand nun neben ihr. Ihre Hand ruhte auf Neas Arm.
„Manchmal weiß ich Dinge nicht mehr. Namen. Wege. Aber wenn er mich anschaut… dann bin ich wieder da. Weißt du, wie ich meine?“
Nea nickte.
Sie erinnerte sich an die Sommer in Heidelberg, als Kind, als Jugendliche. Wie Lupo sie jeden Morgen weckte, wie er sie beim Spielen umriss, sie mit der Schnauze durch das hohe Gras schob. Er war nicht nur ein Hund. Er war ein Teil der Familie. Vielleicht der beständigste.
Und nun war er fort. Doch für Friedel schien das nicht zu gelten.
Nea schaute zurück zum Napf.
„Oma… was, wenn er heute nicht kommt?“
Friedel lächelte. „Dann wartet er woanders. Vielleicht bei den Briefkästen. Oder im Keller. Da schnüffelt er gern.“
„Und wenn er nicht wiederkommt?“
Friedel schwieg. Dann sagte sie langsam: „Dann warte ich morgen weiter.“
Nea schloss die Augen. Alles in ihr schrie nach Wahrheit, aber auch nach Behutsamkeit. Sie wusste, dass es Zeiten gibt, in denen die Wahrheit nur Wunden reißt, ohne zu heilen.
Sie öffnete den Kühlschrank. Milch, Käse, eine angebrochene Packung Butter. Und an der Tür, noch ein Zettel.
„Hund füttern! Und streicheln nicht vergessen.“
Sie nahm ihn ab. Davor waren andere geklebt. Manche alt, vergilbt, kaum noch lesbar. Friedel hatte jeden Tag einen neuen geschrieben. Eine Routine gegen das Verschwinden.
Im Wohnzimmer war es still. Friedel hatte sich in den Sessel gesetzt. Die Decke über den Knien, ein Bildrahmen in der Hand. Darin: ein altes Foto. Lupo, jung und wild, springend im Garten. Friedel lachte auf dem Bild. Das war vor Jahren. Als ihr Haar noch dichter war, als der Blick noch klarer.
„Weißt du“, sagte sie leise, „manchmal denke ich, dass er mich bald wieder ruft. Vielleicht wartet er ja auch auf mich.“
Nea ging zu ihr, kniete sich neben den Sessel, legte den Kopf in ihren Schoß.
„Vielleicht wartet ihr einfach beide auf etwas Gutes, das noch kommt.“
Friedel streichelte ihr das Haar. „Du bist nett, kleines Mädchen. Kennen wir uns?“
Nea nickte. Tränen liefen ihr leise über die Wange.
„Ja, Oma. Wir kennen uns.“
—
Später, als sie allein in der Küche saß, nahm Nea einen Stift. Sie schrieb einen neuen Zettel und klebte ihn neben die alten.
„Du wirst nie vergessen. Und nie allein.“
Dann sah sie zum Napf.
Er war immer noch voll.
Aber der Platz war nicht leer.
Er war voller Erinnerung.
—
Am nächsten Morgen lag wieder ein neuer Zettel am Kühlschrank. Und Nea hatte einen Gedanken, der nicht mehr wegging.
🐾 Teil 3: Lupos Geruch
Der Tag begann mit einem seltsamen Geräusch. Nea saß noch im Schlafanzug am Küchentisch, als sie es hörte: Schritte, vorsichtig, tastend, durch den Flur. Sie stand auf, folgte dem leisen Schleifen von Hausschuhen über Holz.
Im Wohnzimmer war niemand.
Die Geräusche kamen aus dem Schlafzimmer.
Sie klopfte an die Tür.
„Oma?“
Keine Antwort.
Als sie eintrat, sah sie Friedel auf dem Boden sitzen. Die Beine angewinkelt, der Rücken an die Kommode gelehnt. In den Händen hielt sie ein zusammengefaltetes Handtuch – grau, verwaschen, voller Hundehaare. Friedel presste es ans Gesicht, tief atmend, fast wie ein Kind, das sich an ein Stofftier klammert.
„Er ist doch irgendwo“, flüsterte sie.
„Ich rieche ihn.“
Nea blieb an der Tür stehen. Die Szene traf sie unvorbereitet, wie ein Stich. Friedels Stimme war weich, beinahe verträumt.
„Er liegt bestimmt unter dem Bett. Oder vielleicht in der alten Truhe. Weißt du noch, wie er sich immer versteckt hat, wenn es gewitterte?“
Nea kniete sich zu ihr.
„Oma…“
„Er war heute früh auch hier. Ich hab ihn gehört. Sein Atmen. Dieses Schnaufen. So war er immer, wenn er schlecht geträumt hat.“
Nea betrachtete das Handtuch. Es war Lupos Lieblingsdecke. Früher hatte er sie aus seinem Korb geschleppt, um sich mitten im Flur darauf zusammenzurollen. Friedel hatte sie nie gewaschen. Sie sagte, er möge es nicht, wenn es zu frisch roch.
Jetzt roch es nach Vergangenheit.
—
Eine Stunde später saßen sie auf dem Sofa. Friedel hatte die Decke neben sich gelegt, wie für jemanden, der bald wiederkommt.
Nea trank Tee, schaute aus dem Fenster.
Im Hof stand der Platz leer, an dem früher der Futtersack lagerte. Und das kleine Planschbecken, in dem Lupo im Sommer seine Pfoten kühlte.
Friedel sagte leise:
„Vielleicht ist er bei meinem Heinrich. Die mochten sich ja.“
Nea antwortete nicht sofort.
Sie erinnerte sich an ihren verstorbenen Großvater, der vor fast zehn Jahren gegangen war. Lupo hatte wochenlang am Schlafzimmer gelegen und gewartet.
„Vielleicht passt er auf ihn auf, ja“, sagte Nea.
Friedel nickte zufrieden, als hätte man ihr gerade ein Glas warmer Milch gereicht.
Dann stand sie plötzlich auf.
„Wir müssen suchen“, sagte sie.
„Wenn er friert, ist das nicht gut für seine Hüften.“
Nea wollte protestieren, doch Friedel zog sich schon ihre alte Weste über.
„Er hat seine Decke nicht dabei. Du weißt, wie schnell er friert.“
Nea folgte ihr. Durch die Wohnung. Vom Keller bis zum Balkon. Friedel rief leise seinen Namen in jede Ecke.
„Lupo? Ich bin’s. Mama ist hier.“
Im Flur öffnete sie die Besenkammer.
„Hier warst du doch letztes Jahr, als es so laut geböllert hat… erinnerst du dich?“
Nea hielt sich an der Wand fest.
Es war nicht das erste Mal, dass Friedel suchte. Aber heute war es anders. Heute war da etwas Dringendes in ihrer Bewegung. Etwas, das mehr war als nur Vergessen. Es war Sehnsucht. Oder Angst. Vielleicht beides.
—
Am Abend, als Friedel endlich eingeschlafen war, saß Nea allein im Wohnzimmer. Der Fernseher lief stumm. Im Schein der Stehlampe betrachtete sie ihr Handy.
Sie tippte die Nummer der Tiernothilfe Heidelberg ein. Ihre Finger zögerten kurz, dann wählte sie.
„Guten Abend, Tiernothilfe. Was können wir für Sie tun?“
Die Stimme war freundlich, jung.
„Hallo. Ich… meine Großmutter hat gerade ihren Hund verloren. Sie lebt allein. Sie… erinnert sich nicht immer. Und sie glaubt, er sei noch da.“
„Das tut mir leid“, sagte die Frau am anderen Ende. „Möchten Sie über eine mögliche Adoption sprechen?“
Nea schwieg einen Moment.
„Ich weiß nicht, ob das richtig wäre. Ob sie es verstehen würde. Oder ob sie es verwechselt. Aber… vielleicht braucht sie jemanden. Nicht als Ersatz. Sondern als neuen Anfang.“
Die Frau war still. Dann sagte sie:
„Wir haben einen. Einen ruhigen. Alt genug, um nicht zu stürmisch zu sein. Aber jung genug, um zu folgen. Er ist etwas schüchtern. Er frisst nicht, wenn keiner bei ihm ist. Wir nennen ihn Blom.“
„Blom?“
„Ja. Wie eine Knospe. Er wartet noch darauf, aufzublühen.“
Nea legte auf. Sie starrte auf den leeren Platz im Wohnzimmer, dort wo der Korbstuhl stand. Der Fleck im Teppich, wo Lupo immer lag, war noch sichtbar, leicht dunkler als der Rest.
Am Kühlschrank hing ein neuer Zettel.
„Hund füttern! Und danach spazieren gehen!“
Nea berührte ihn sanft mit der Fingerkuppe.
Der Stift war noch nicht ganz trocken.
—
In der Nacht träumte Friedel von einer Wiese. Es war Sommer. Lupo rannte voraus, bellte fröhlich. Sie rief ihm nach, aber der Wind trug ihre Stimme fort. Als sie stehen blieb, roch sie plötzlich Veilchen und Fell und etwas Warmes. Als sie sich bückte, lag da eine Decke. Und ein kleiner brauner Hund, der sie ansah, als hätte er auf sie gewartet.
—
Am nächsten Morgen saßen sie beim Frühstück. Friedel hatte drei Brötchen aufgebacken. Eines zu viel.
„Für den Hund“, sagte sie schlicht.
Nea schwieg. Ihre Hand ruhte auf dem Handy, das auf dem Tisch lag. Neben dem Brotmesser, das schon einen Hauch Butter trug.
Sie tippte leise eine Nachricht an die Tiernothilfe.
„Ich möchte Blom kennenlernen. Aber meine Großmutter darf ihn nicht als Ersatz sehen. Nur als… jemanden, der jetzt hier ist.“
Die Antwort kam schnell.
„Das versteht er. Er kennt das Gefühl selbst.“
—
Am Nachmittag stand Nea vor dem Tierheim und wusste nicht, ob sie mit leerer oder voller Leine zurückkehren würde.