Am Feldrand | Am Feldrand versammelten sich Tiere und Menschen und ein alter Hund schrieb seine letzte Geschichte

🐾 Teil 4: Als der Keiler kam und die Nacht den Atem anhielt

Der Keiler stand im Lichtkreis der Laterne, als hätte ihn jemand aus der Dunkelheit geschnitten. Sein Atem stieg als Dampf. Er war kein Riese, doch breit in der Schulter, mit einem grauen Bart, der den Unterkiefer beschwerte. Sein Blick ging nicht zu den Menschen. Er suchte die Gerüche.

Der Boden sprach zu ihm. Aufgerissene Böschung. Frische Wurzeln. Ein leises Eisen aus dem Brunnen. Ein Schatten unter Decken. Warmes Tier. Noch ein warmes Tier. Ein drittes, das nicht laufen konnte.

Raban richtete sich in der Decke auf. Das Messer in seiner Hüfte erwachte, doch er ließ es ohne Namen. Er stellte die Vorderpfoten an den Rand, sodass sein Körper länger wurde. Sein Halsband mit der verbeulten Marke vibrierte leise an seinem Atem.

Almut hob die Hand. Nicht schnell. Nur so, dass der Keiler die Bewegung sah. Ihre Stimme blieb tief und ruhig. Du bleibst, Raban. Du bleibst bei mir. Ein Satz, der gleichzeitig bat und ordnete.

Kaspar stand noch am Graben. Seine Mütze lag mittlerweile in der Jackentasche. Die Finger suchten Holz. Er fand einen alten Zaunpfahl, halb vermorscht. Er hob ihn an, als trage er einen Eimer, nicht eine Waffe. In seinem Gesicht lag eine Sorge, die nicht rasch entschied.

Tabea kniete beim Storch. Ihre Augen gingen schnell, doch ihre Hände blieben ruhig. Sie zog die Decke fester. Dann rückte sie sich in die Hocke, sodass ihr Körper zwischen Vogel und Keiler eine Linie machte. Sie kannte dieses Gewicht von Körpern. Sie wusste, was Aufrichten und Kleinmachen im Tier bedeuten.

Die Katze Signe saß im Übergang von Licht zu Schatten. Ihr Körper wurde schmal, der Schwanz lag tief. Ihre Ohren waren nach vorn gestellt, nicht nach hinten. Sie sah die Richtung, aus der Gefahr kam, und blieb.

Das Lamm stand halb unter Rabans Decke, halb im kalten Gras. Sein Geruch war frisch, milchig, offen. Er legte sich in die Nacht wie ein Ruf. Der Keiler stellte die Lauscher. Er schob den Huf, als wolle er die Erde kosten, ehe er antwortete.

Raban erhob sich ganz. Die Decke rutschte an der Flanke ab. Die Kälte setzte sofort an, aber der Schmerz wurde kleiner, weil der Körper nun einen Grund hatte. Ein Ton stieg in seiner Brust, tief und alt. Kein lautes Bellen. Eher ein Knurren, das Holzbalken kennt und die stille Wache an Toren.

Almut atmete hörbar aus. Sie wusste, dass Raban mit den Jahren gelernt hatte, die kürzeren Wege zu wählen. Heute würde er den langen nehmen, wenn es sein musste. Ihre Hand berührte den alten Messingring an seinem Halsband. Eine Geste, die so vertraut war wie die Klinke an der Küchentür.

Kaspar trat in den Lichtkreis. Er hielt den Pfahl quer vor den Körper. Geh, sagte er leise zum Keiler. Er sagte es wie ein Mann, der mit einem Nachbarn spricht, nicht mit einem Feind. Der Keiler sah ihn an, ohne ihn wirklich zu sehen. Seine Nase schrieb eine Karte, auf der Kaspar kein wichtiger Ort war.

Tabea flüsterte, ohne den Blick zu heben. Kein Rufen. Keine Hast. Wenn er merkt, dass wir sammeln, wird er testen. Wenn er frisst, geht er. Der Boden ist offen. Er riecht die Larven. Die Stimme war fachlich, doch sie blieb weich, als halte sie den Vogel noch. Sie rückte den Körper eine Handbreit, sodass der Flügel des Storches im Windschatten der Decke blieb.

Der Keiler setzte einen Schritt. Er ging nicht in den Kreis. Er schnitt ihn. Sein Rüssel streifte die Deckenfaser, dann die Kante vom Stroh. Er roch die Maus, und der kleine Körper erstarrte. Ein Herz tickte wie eine Uhr in einer fremden Küche.

Raban trat vor. Sein Vorderlauf stand nun im späten Reif. Das kalte Brennen stieg ihm bis zum Ellbogen. Er ließ den Kopf sinken, sodass der Rücken eine geringe Kurve bekam. Es war die alte Sprache der Hunde. Ich bin hier. Ich halte. Du gehst nicht durch mich.

Almut stand neben ihm, nicht hinter ihm. Ihre Schulter war auf Höhe seines Nackens. Sie hielt die Laterne niedrig, nicht hoch. Licht in Augen macht blind. Licht am Boden macht den Boden sichtbar. Es war eine Bauernregel, die niemand aufgeschrieben hatte.

Kaspar atmete einmal kurz ein und aus. Er hob den Pfahl ein wenig. Er wollte nicht schlagen. Er wollte Raum markieren. Der Keiler zuckte nicht. Er prüfte. Ein wenig seitlich. Ein wenig näher. Sein Atem wurde schneller, aber nicht laut. Er war kein junger Läufer. Er war ein alter Randgänger, der wusste, wie man Ecken nutzt.

Tabea löste die Hand vom Storch. Ihre Finger tasteten nach dem Rucksack. Sie kannte den Gedanken, der nun in die Gruppe fiel. Laut sein oder still. Groß werden oder klein. Jeder Körper entschied anders. Sie nahm ein altes Tuch heraus. Sie hielt es lose, sodass es im kleinen Wind spielte. Manchmal geht Bewegung, wo kein Ton geht.

Signe stand auf. Sie tat es wie Wasser. Ohne Geräusch, ohne Gewicht. Dann schob sie sich so, dass sie hinter dem Lamm war, nicht davor. Ihre Anwesenheit wurde eine Linie. Das Lamm atmete tiefer, weil hinter ihm etwas wach wurde.

Der Keiler hob den Kopf. In seinem Blick lag eine kurze Irritation. Der Kreis war kein Kreis mehr. Er war eine Form aus Rändern, die sich bewegten. Nicht rasch, aber entschieden. Der Keiler wusste um solche Formen. Er war selbst eine.

Raban setzte den nächsten Schritt. Das Messer in der Hüfte brach kurz auf. Er atmete dagegen. Aus seiner Kehle kam jetzt ein Ton, der an die Abende im Hof erinnerte, wenn fremde Schritte am Tor vorübergingen. Ein Ton, der sagte, dass Grenzen nicht stumm sind.

Almut spürte das Zittern in seinem Fell. Sie legte ihm zwei Finger an den Hals, dort, wo unter der Marke die Haut dünn war. Nicht, um zu halten. Um zu sagen, dass da eine Hand ist.

Der Keiler bremste. Er sah in die Richtung des Storches. Das Tuch bewegte sich. Es roch nach Mensch, nach Waschmittel, nach Stall. Der Geruch machte die Luft höher. Der Keiler mochte keine Höhen in der Luft. Er mochte die Bodenspur.

Kaspar machte einen Schritt schräg und trat auf einen trockenen Zweig. Der Zweig knackte, hart und plötzlich. Der Keiler fuhr herum. Der Blick sprang. Eine kleine Spannung löste sich in die falsche Richtung. Die Nacht machte den Raum enger.

Raban sprang nicht. Er verlagerte nur sein Gewicht nach vorn, so weit, dass die Welt für ihn wieder klar wurde. Er gab den tiefsten Ton, den sein Körper noch hatte. Er kam aus dem Bauch, nicht aus dem Hals. Der Keiler hielt inne. Eine Sekunde. Vielleicht zwei.

Dann senkte er den Kopf.

Tabea rief nicht. Almut rief nicht. Kaspar hob den Pfahl. Signe spannte die Muskeln, ohne den Boden zu verlassen. Das Lamm drückte sich an Rabans Flanke und roch dort die Ruhe, die der Hund zu halten versuchte.

Der Keiler setzte an.

Raban ging ihm entgegen. Seine Pfote suchte Halt im Reif. Die Decke rutschte ganz ab. Die Messingmarke am roten Halsband schlug einmal an seinen Knochen. Ein heller Ton in der kalten Luft.

Im selben Augenblick fiel von der Kirche her eine Glocke in den Morgen. Nicht laut, aber unerwartet. Ein einzelner Schlag. Der Keiler zuckte. Raban sprang.

Die Laterne kippte. Das Licht rollte über das Gras und blieb an der Kante liegen. Im Schatten war Bewegung, die keiner in Worte fasste.

Als das Licht still lag, sah Almut, dass Rabans Körper nicht mehr dort war, wo er eben noch geatmet hatte.

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