An meinem Hochzeitstag erwischte ich meinen Verlobten mit meiner Trauzeugin im Hotelzimmer

Drei Monate später saß ich in meiner neuen Wohnung auf einem schlichten grauen Sofa, das ich allein ausgesucht und allein bezahlt hatte.

Eine Zwei-Zimmer-Wohnung in einem Altbau nahe der Lindenfelder Innenstadt, mit knarrendem Dielenboden, hohen Decken und einem kleinen Balkon, auf dem gerade die ersten Kräuter in Töpfen wuchsen.

Zum ersten Mal in meinem erwachsenen Leben gehörte ein Zuhause wirklich nur mir.

Ich sortierte gerade Unterlagen für die Kita, als mein Handy vibrierte. Unbekannte Nummer.

Früher hätte ich vielleicht nicht rangegangen. Diesmal ging ich ran.

„Ja, hallo, Anna Müller.“

Kurz war nur Atmen zu hören, dann eine zögernde Stimme: „Anna… hier ist Pauline.“

Mein erster Impuls war, einfach aufzulegen. Mein Daumen zuckte sogar kurz in Richtung des roten Buttons. Aber irgendetwas hielt mich zurück. Vielleicht war es reine Neugier, vielleicht auch der Wunsch, dieses Kapitel endlich ganz zu schließen.

„Was willst du?“, fragte ich. Meine Stimme klang sachlicher, als ich mich fühlte.

„Ich… wollte mich entschuldigen“, stammelte sie. „Ich weiß, ich habe kein Recht darauf, dass du mir zuhörst. Aber ich muss es wenigstens versuchen.“

Ich sagte nichts und ließ die Stille für mich arbeiten. Wenn sie reden wollte, sollte sie reden.

„Ich bin seit ein paar Wochen in Therapie“, fuhr sie fort. „Ich versuche zu verstehen, warum ich so etwas tun konnte. Warum ich dir so wehgetan habe.“

Sie holte hörbar Luft. „Die Wahrheit ist: Ich war eifersüchtig. Auf dich.“

„Auf mich?“, entfuhr es mir. „Worauf denn bitte?“

„Auf… dein Leben“, sagte sie leise. „Du hattest alles, was ich mir für mich gewünscht hatte. Einen festen Job, eine Familie, die hinter dir steht, eine Beziehung, die von außen perfekt aussah. Du warst so sicher, so… geerdet. Ich fühlte mich daneben wie ein Anhängsel, das nicht richtig erwachsen wird.“

Ich ließ ihre Worte in mir sinken. Früher hätte mich das getroffen wie eine Ohrfeige. Jetzt fühlte es sich eher an wie eine Erklärung, die nichts entschuldigt, aber bestimmte Dinge einordnet.

„Als Marc anfing, sich bei mir auszuheulen“, fuhr Pauline fort, „über seine Zweifel, über den Druck, über das Gefühl, noch nicht bereit zu sein… hätte ich ihm sagen müssen: ‚Rede mit Anna. Sei ehrlich.‘ Stattdessen… hab ich es gefüttert. Ich habe ihm zugeredet, dass seine Zweifel normal sind, dass er ‚mehr Freiheit‘ verdient.“

Sie schluckte. „Und irgendwann… war ich die Person, zu der er gegangen ist, wenn er sich verstanden fühlen wollte. Und ich habe es genossen. Auf deine Kosten.“

„Warum erzählst du mir das alles?“, fragte ich ruhig.

„Weil du die Wahrheit verdient hast“, sagte sie. „Und weil ich möchte, dass du weißt: Es lag nicht daran, dass du nicht gut genug warst. Nicht daran, dass du irgendetwas falsch gemacht hast. Es lag an mir – an meinem Neid und meinen Baustellen. Und an ihm, weil er zu feige war, ehrlich zu dir zu sein.“

„Seid ihr noch zusammen?“, fragte ich, ohne sicher zu sein, ob ich die Antwort überhaupt wissen wollte.

„Nein“, kam es fast reflexartig. „Das hat nicht gehalten. Überraschung, ich weiß.“ Ein bitteres Auflachen. „Eine Beziehung, die auf einem Betrug aufbaut… ist nicht sehr stabil. Wir haben uns nach ein paar Wochen nur noch gestritten. Über dich, über das, was wir getan haben, über alles.“

Ich spürte kurz ein Aufblitzen von Mitleid. Es verging schnell.

„Ich rufe nicht an, um um Vergebung zu betteln“, fügte sie hinzu. „Die verdiene ich nicht. Ich wollte dir nur sagen: Es tut mir leid. Wirklich. Und ich weiß, dass ‚Es tut mir leid‘ viel zu wenig ist für das, was ich angerichtet habe.“

Ich schwieg einen Moment, sah auf meine Hände, die auf meinem eigenen Wohnzimmertisch lagen. Dieselben Hände, die vor Monaten den Ring in den Teich geworfen hatten.

„Du hast recht“, sagte ich schließlich. „Es ist zu wenig. Aber es ist dein Problem, nicht mehr meins.“

„Ich habe gehört…“, setzte sie an, „du hast eine Beförderung bekommen? Und du wirkst… glücklich.“

Ich stellte erstaunt fest, dass sich kein Widerstand in mir regte, als ich antwortete: „Ja. Bin ich.“

„Das freut mich“, sagte sie leise. „Mehr, als du mir glaubst.“

Wir verabschiedeten uns ohne große Dramatik. Als ich auflegte, wartete ich kurz darauf, dass die alten Bilder wiederkommen würden: das Hotelzimmer, das Bett, ihr Haar auf seiner Brust.

Sie kamen. Aber sie taten nicht mehr so weh wie früher. Eher wie eine Narbe, die ab und zu zieht, wenn das Wetter umschlägt, aber einen nicht mehr davon abhält, rauszugehen.

In den Monaten nach der nicht stattgefundenen Hochzeit hatte sich mein Leben leise, aber grundlegend verändert.

Zuerst waren es kleine Dinge gewesen: Ich hatte mir eine neue Kaffeemaschine gekauft und fast albern viel Freude daran gehabt, dass nur ich entscheide, wann sie läuft. Ich hatte angefangen zu malen, ganz ohne Anspruch, nur mit günstigen Farben und dicken Pinseln auf Leinwand. Es tat gut, etwas zu schaffen, bei dem es kein „richtig“ und „falsch“ gab.

Dann waren größere Dinge dazugekommen. In der Kita hatte ich mehr Verantwortung übernommen, Projekte angeschoben, die bisher immer „irgendwann“ geplant waren: ein Sprachförderprogramm, eine enge Kooperation mit der Stadtbibliothek, ein Elterncafé einmal im Monat.

Meine Chefin hatte eines Tages in der Teambesprechung gesagt: „Anna, seit deiner… schweren Zeit bist du unglaublich klar geworden. Du weißt genau, was du willst. Das tut dem ganzen Team gut.“

Kurz darauf war die Beförderung gekommen: Leitung einer neuen Gruppe und mehr konzeptionelle Arbeit. Ich hatte gezögert, dann „Ja“ gesagt. Diesmal zu etwas, das wirklich zu mir passte.

Ich hatte begonnen, einmal im Monat im Frauenhaus der Stadt zu helfen. Zuerst war ich nur zum Aufräumen und Kinderbetreuung da gewesen.

Mit der Zeit hatte ich auch Gespräche mit Frauen geführt, die viel Schlimmeres erlebt hatten als ich: Gewalt, Kontrolle, Isolation.

Manche brauchten einfach jemanden, der ihnen sagt: „Du bist nicht verrückt. Du hast ein Recht darauf, glücklich zu sein.“

Jedes Mal, wenn ich das sagte, hörte ich meine eigenen Worte auf der Hochzeit wieder: „Ich habe beschlossen, mich selbst zu wählen.“

Vielleicht war genau das der Kern: anderen Frauen zu zeigen, dass man diese Wahl treffen darf. Immer.

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