An meinem Hochzeitstag erwischte ich meinen Verlobten mit meiner Trauzeugin im Hotelzimmer

Und dann war da noch das Café an der Ecke meiner neuen Straße. Ein kleiner Laden mit alten Holztischen und leicht wackeligen Stühlen, in dem der Kaffee besser war als alles, was ich je aus einer Maschine geholt hatte.

Dort arbeitete David.

Ich hatte ihn das erste Mal ein paar Tage nach dem Umzug gesehen, als ich mit zwei Kartons unter dem Arm verzweifelt nach einem freien Tisch gesucht hatte.

Er hatte sich ohne viel Aufhebens die Kartons geschnappt, mir einen Platz freigeräumt und gefragt: „Mit oder ohne Milch?“

„Wie bitte?“

„Kaffee“, hatte er gelächelt. „Sie sehen so aus, als hätten Sie dringend einen gebraucht.“

Ich hatte gelacht – zum ersten Mal seit Tagen richtig. „Mit Milch. Und viel.“

Seitdem war ich Stammkundin.

Unsere Gespräche begannen bei „Wie war Ihr Tag?“ und landeten irgendwann bei Lieblingsbüchern, Kindheitserinnerungen und der Frage, warum so viele Menschen lieber schweigen, als einmal ehrlich zu sagen: „Ich bin unglücklich.“

Als die Nachricht von ihm kam – „Hallo Anna, hier ist David aus dem Café. Ich weiß, es ist vielleicht etwas spontan, aber hättest du Lust, mal mit mir essen zu gehen?“ – hatte ich mein Handy eine Weile angestarrt.

Nicht, weil ich Angst hatte. Sondern weil ich plötzlich merkte: Ich muss nicht mehr aus einem Gefühl der Leere heraus jemanden suchen. Ich bin nicht mehr halbe Person, die auf ihre zweite Hälfte wartet. Ich bin ganz. Und genau deshalb kann ich jetzt frei entscheiden, ob ich jemanden in dieses Ganze hineinlasse.

Ich hatte „Ja“ geschrieben. Nicht aus dem Reflex, nicht, weil ich sonst niemanden hatte, sondern weil ich neugierig auf ihn war. Auf seine Art, zuzuhören, und auf das ruhige Lächeln, das nichts versprach und nichts einforderte.

Ein Jahr nach dem geplatzten Hochzeitstag stand ich in der Turnhalle des Lindenfelder Gemeindezentrums und sah meinen Vorschulkindern dabei zu, wie sie ihr Abschlusslied sangen.

Pappkronen auf den Köpfen, schief gemalte Regenbogen auf großen Plakaten, ein kleiner Junge, der mitten im Lied anfing zu winken, weil er seine Oma entdeckt hatte. Eine Mutter wischte sich unauffällig die Augen, ein Vater filmte alles mit dem Handy.

„Frau Köhler“, flüsterte Emma, eine Fünfjährige mit Zahnlücke, an meiner Hand zerrend, „hab ich die richtige Stelle gesungen?“

„Du warst wunderbar“, flüsterte ich zurück. „Ich bin sehr stolz auf dich.“

Als die Veranstaltung sich dem Ende näherte und die Kinder mit ihren Mappen und selbstgebastelten Medaillen in den Armen in alle Richtungen auseinanderstoben, kam meine Leiterin, Frau Schneider, auf mich zu.

„Anna, einen Moment bitte“, sagte sie.

Ich wischte mir Kleberflecken von den Fingern. „Ja?“

„Ich bekomme gleich Besuch vom Schulamt“, begann sie, „und ich habe deinen Namen ins Spiel gebracht.“

„Ins Spiel… wofür denn?“

„Die suchen jemanden, der im Kreis die frühkindliche Bildung mitkonzipiert“, erklärte sie. „Jemand, der Fortbildungen für Erzieherinnen anbietet, Konzepte schreibt, Kooperationen aufbaut. Ich habe gesagt: ‚Reden Sie mit Anna. Die brennt für das Thema.‘“

Mir wurde kurz schwindelig. Das war genau die Art von Aufgabe, von der ich früher nur leise geträumt hatte, wenn ich mir eingestand, dass ich mehr wollte, als „nur“ Gruppenalltag.

„Und… was haben sie gesagt?“, fragte ich.

„Sie wollen dich kennenlernen“, sagte Frau Schneider. „Nächste Woche. Und bevor du ‚Ich weiß nicht, ob ich das kann‘ sagst – doch. Kannst du.“

Am Abend erzählte ich David davon. Wir saßen auf meinem Balkon, zwei Teller mit Nudeln und Tomatensauce vor uns, die wir zusammen gekocht hatten.

„Das klingt nach einem Riesenschritt“, sagte er. „Aber auch nach genau deinem.“

„Ich hab Angst“, gab ich zu. „Wenn ich das mache, wird sich vieles ändern. Weniger Zeit in der Gruppe, mehr Büro, mehr Verantwortung.“

„Angst heißt meistens nur, dass dir etwas wichtig ist“, meinte er. „Ich kenne dich jetzt gut genug, um zu wissen: Du wirst dir das sehr genau überlegen. Und selbst wenn es nicht klappt, bleibst du immer noch die Anna, die heute schon Großartiges macht.“

So war David: keine leeren Versprechungen, keine dramatischen „Du schaffst das schon!“-Parolen. Nur Vertrauen. In mich, aber vor allem in meine Fähigkeit, selbst herauszufinden, was ich will.

Wir hatten beschlossen, es langsam anzugehen mit uns. Kein Zusammenziehen nach drei Monaten, keine großen Versprechungen.

Stattdessen kleine, echte Dinge:

Er brachte mir an stressigen Tagen Suppe in die Kita. Ich hörte mir abends seine Sorgen über den Cafébetrieb an. Wir verbrachten Sonntage damit, durch den Wald zu laufen und uns Geschichten über die Leute auszudenken, die uns begegneten.

Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte sich eine Beziehung nicht wie ein Projekt an, das perfekt sein musste. Sondern wie ein gemeinsamer Weg, auf dem man auch mal stolpern darf.

Meine Familie hatte David sofort ins Herz geschlossen. Meine Mutter, weil er beim ersten Essen ungefragt den Abwasch machte. Mein Vater, weil sie über Fußball und Handwerksprojekte reden konnten. Felix, weil er endlich jemanden hatte, mit dem er sich über schlechte Filme lustig machen konnte.

An einem Sonntagnachmittag, als wir alle bei meinen Eltern im Garten saßen und mein Vater wieder einmal den Grill überfrachtete, bekam ich eine Nachricht von Großtante Rosa.

„Na, Frau Fast-Referentin?“, stand da. „Schon entschieden, ob du den Sprung wagst?“

Ich grinste und tippte zurück: „Ich glaube ja.“

Sie antwortete fast sofort: „Gut. Du bist groß geworden seit letztem Jahr. Wäre schade, wenn du jetzt wieder klein wirst, nur um irgendjemandem zu gefallen.“

Ich sah zu David hinüber, der gerade mit Felix diskutierte, ob Ketchup vor oder nach den Pommes auf den Teller gehört. Er sah rüber, zwinkerte mir zu, und in mir wurde es ruhig.

Ich hatte aufgehört, mein Leben danach auszurichten, wie es nach außen wirkt. Und zum ersten Mal fühlte es sich genau deshalb richtig an.

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