Beim ersten Geburtstag meines Neffen behauptete meine Schwester: Er ist mein Erbe und mein Albtraum

Denn mein Körper hatte mir etwas verwehrt, worauf ich mich so lange vorbereitet hatte. Und Carina bekam es scheinbar nebenbei.

Lukas wurde gesund geboren, rund, rosig, mit diesen winzigen Fingern, die einen sofort festhalten, als hätten sie ein Recht darauf. Ich war im Krankenhaus mit Blumen und einer kleinen Decke, die ich selbst gestrickt hatte, weil ich irgendwohin mit all meiner Liebe musste.

Carina war schnell überfordert. Sie rief mich an, wenn Lukas schrie, wenn sie nicht wusste, was er brauchte, wenn sie einfach nur erschöpft war. Ich fuhr oft hin. Ich blieb manchmal über Nacht. Ich lernte, wie Lukas atmet, wenn er schläft. Ich lernte seinen Geruch. Ich wurde die Tante, die immer da ist.

Andreas hielt Abstand. Er war freundlich, aber vorsichtig, als würde er seine Hände nicht zu nah an etwas Warmes halten wollen, das ihm weh tun könnte. Ich dachte, es sei wegen unseres unerfüllten Kinderwunsches. Dass es ihn schmerzt, dieses Baby im Arm zu halten, das nicht unseres war. Ich fragte nicht weiter. Vielleicht wollte ich die Antwort nicht hören.

Dann kam dieser Dienstag.

Andreas sagte morgens beim Kaffee: „Mir schmerzt der Kopf.“

Ich sah ihn an. „Bleib zuhause.“

Er schüttelte den Kopf. „Nur ein schlimmer Kopfschmerz. Ich habe ein wichtiges Gespräch.“ Er küsste mich, wie immer, kurz an der Stirn. „Ich rufe dich später an.“

Dieser Anruf kam nicht.

Stattdessen rief das Krankenhaus an. Ich erinnere mich an das Geräusch meiner eigenen Schritte auf dem Flur, zu laut, zu schnell. An das grelle Licht. An eine Ärztin, die Worte sagte, die ich verstand und doch nicht verstand.

Aneurysma. Plötzlich. Keine Chance.

Als ich Andreas sah, war er schon nicht mehr da, auch wenn sein Körper noch da lag. Ich hielt seine Hand. Sie war warm. Das machte es schlimmer.

In den Tagen danach war Carina merkwürdig abwesend. „Lukas ist krank“, schrieb sie. „Ich finde niemanden zum Aufpassen.“ Sie kam zur Beerdigung, stand am Rand, ging früh. Ich merkte mir das, aber ich hatte damals nicht genug Kraft, daraus einen Gedanken zu machen.

Und dann stand ich eine Woche später in ihrem Garten, zwischen Ballons und fremden Blicken.

Nach einer halben Stunde kam Carina endlich heraus. Sie trug ein neues Kleid, frisch gefärbte Haare. Lukas saß auf ihrer Hüfte und strampelte fröhlich, als wäre die Welt ein großes Spiel. Carina setzte ihn in den Hochstuhl, klopfte mit einem Löffel gegen ein Glas und lächelte in die Runde, als hätte sie gleich eine Auszeichnung gewonnen.

„Danke, dass ihr alle gekommen seid“, begann sie. „Dieses Jahr war… intensiv. Und es gab viele Überraschungen.“

Ich spürte, wie mein Nacken sich verspannte. Meine Mutter starrte plötzlich sehr interessiert auf ihre Hände.

Carina legte eine Hand auf Lukas’ Kopf. „Ich habe ein Geheimnis. Und nach allem, was passiert ist, kann ich es nicht länger verstecken.“

Sie sah mich direkt an.

„Lukas ist nicht Timos Sohn“, sagte sie. „Er ist der Sohn von Andreas.“

Für einen Moment wurde alles still, so still, dass ich das Summen eines Insekts hörte. Dann ein Aufkeuchen irgendwo. Ein Stuhl scharrte. Mein Vater erstarrte neben mir.

Carina sprach weiter, als hätte sie diesen Text geübt. „Andreas und ich hatten vor zwei Jahren… einen Fehler. Eine kurze Affäre. Wir wollten niemanden verletzen. Aber so etwas passiert.“

Ich stand da und fühlte – nichts. Nicht sofort. Es war, als hätte jemand meinen Kopf in Watte gepackt. In meinem Bauch stieg etwas auf, aber es war kein klassischer Schmerz. Es war ein seltsames, unpassendes Gefühl, fast wie Unglauben.

Carina griff in ihre Tasche und zog ein gefaltetes Papier heraus. „Andreas wusste es. Und bevor er gestorben ist, hat er sein Testament geändert.“ Sie hielt das Blatt hoch, damit es alle sehen konnten. „Er wollte, dass sein Sohn abgesichert ist. Hier steht, dass Lukas die Hälfte von eurem Haus bekommt.“

Alle Augen auf mir. Ich sah Mitleid. Neugier. Dieses unangenehme Gesicht, das Menschen machen, wenn sie denken, sie erleben gerade ein Drama, das nicht ihres ist.

Und da war es: Ein Lächeln, das ich nicht wollte. Es zog an meinen Mundwinkeln, als hätte mein Körper beschlossen, auf eine andere Weise zu überleben.

Ich presste die Lippen zusammen, so fest, dass es wehtat.

„Ach so“, sagte ich. Meine Stimme klang erstaunlich ruhig. Ich nahm einen Schluck Wasser, als würde ich nur Durst haben. „Darf ich das sehen, Carina?“

Ihr selbstsicherer Ausdruck flackerte. Das hatte sie nicht erwartet. Langsam kam sie auf mich zu und drückte mir das Papier in die Hand.

Es war ein Ausdruck, kein Original. Keine Stempel, keine Beglaubigung, nichts. Der Text klang falsch, zu holprig, zu dramatisch. Und unten: eine Unterschrift, die so tun wollte, als wäre sie die von Andreas.

Aber ich kannte seine Unterschrift. Ich hatte sie tausendmal gesehen – auf Karten, auf Notizen, auf Formularen. Diese hier war… fast. Und genau deshalb lächerlich.

Ich gab ihr das Blatt zurück, ordentlich gefaltet, als wäre es ein Werbezettel.

„Danke, dass du mir das gezeigt hast“, sagte ich. „Ich glaube, ich gehe jetzt.“

Carina blinzelte. „Das war’s? Du sagst nichts?“

„Nicht hier“, antwortete ich. „Heute ist Lukas’ Tag.“

Ich verabschiedete mich von meinen Eltern. Meine Mutter sah aus, als würde sie gleich ohnmächtig werden. Mein Vater wollte etwas sagen, aber seine Stimme blieb stecken. Hinter mir begann das Flüstern wieder. Der Garten, der eben noch nach Kuchen roch, roch plötzlich nach etwas Bitterem.

Im Auto schloss ich die Tür, als würde ich eine ganze Welt aussperren. Ich saß da, die Hände am Lenkrad, und dann… kam es.

Ein Laut, erst klein, dann größer. Ein Lachen, das aus mir herausbrach, als hätte es sich schon seit Tagen hinter meinen Rippen gestaut. Tränen liefen mir über das Gesicht – nicht, weil es lustig war, sondern weil es so dreist, so falsch, so unmöglich war, dass mein Körper keinen anderen Weg fand.

Carina hatte keine Ahnung.

Sie wusste nicht, was Andreas und ich niemals jemandem erzählt hatten.

Sie wusste nicht, warum ihre Geschichte nicht nur gemein war – sondern unmöglich.

Und genau deshalb musste ich lachen.

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