Das Fenster zur Straße | Er wartete jeden Tag vor dem Fenster – bis zum Ende. Niemand wusste, warum.

Teil 5: Der Adventskranz und das Flüstern

Der Dezember kam leise.

Mit Nebel, der sich wie Watte um die Dächer legte,
mit Atemwolken auf dem Weg zum Bäcker,
und mit Kerzenlicht,
das sich in Fensterscheiben spiegelte.

Mathilde liebte diese Zeit.
Immer schon.
Nicht wegen der Geschenke.

Sondern wegen der Stille.
Und wegen der Lichter.

Sie holte den alten Adventskranz aus dem Schrank.
Der Tannenduft war kaum noch da,
aber die Erinnerungen hafteten noch an jeder Schleife.

Franz hatte ihn vor vierzig Jahren selbst gebunden.
Damals, als sie noch zusammen sangen,
während draußen der Schnee fiel.

„Es kommt ein Schiff, geladen…“

Sie stellte den Kranz auf den Couchtisch.
Daneben ein kleiner Napf mit Leckerlis für Basil.

Er lag wie immer am Fenster,
den Blick nach draußen gerichtet,
aber die Ohren stets auf sie abgestimmt.

„Komm her“, sagte sie.
„Ich hab was für dich.“

Er kam.
Langsam, aber zielstrebig.
Und als sie ihm das Leckerli gab,
spürte sie seine Zunge, warm und vorsichtig,
wie eine Antwort.

Am Nikolaustag nähte sie ihm ein Halstuch.

Aus einem alten Kissenbezug,
mit kleinen, roten Sternen drauf.

Sie nähte langsam –
jede Naht wie ein Gedanke.

Als sie ihm das Tuch umband,
stand er still,
als spürte er,
dass es mehr war als Stoff.

Es war Zuneigung.
Und vielleicht – ein Versprechen.

In der Nacht fiel der erste Schnee.
Sie weckte Basil sanft,
zog sich den Wollmantel über
und trat mit ihm auf den Balkon.

Die Welt war weiß.
Verschluckt.
Gedämpft.

Basil sah hoch.
Einzeln fielen die Flocken auf seine Schnauze.

Er blinzelte,
drehte sich kurz im Kreis,
und legte sich an ihre Füße.

Sie streichelte ihn.
Lange.
Ohne Eile.

Dann flüsterte sie:
„Du bist mein letzter Trost.“

Ein Satz, der aus ihr fiel
wie ein Gebet,
das zu lange gewartet hatte.

Sie wusste,
dass er die Worte nicht verstand.
Aber er legte den Kopf auf ihren Fuß.

Und das reichte.

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