Das Fenster zur Straße | Er wartete jeden Tag vor dem Fenster – bis zum Ende. Niemand wusste, warum.

Teil 9: Das Fenster öffnet sich wieder

Es war ein windiger Frühlingstag,
als Clara ihr Notizbuch öffnete
und zum ersten Mal aufschrieb,
was sie längst in sich trug.

„Der Hund unter dem Fenster“,
stand auf der ersten Seite.
Und darunter:

„Für Mathilde – die Frau, die er nie vergaß.“

Sie hatte inzwischen alles gehört,
was die Nachbarn erzählen konnten:
Von der alten Dame mit dem grauen Dutt.

Vom Hund, der blieb.
Vom Fenster, das dunkel blieb –
und trotzdem leuchtete.

Jeden Nachmittag saß sie auf der Bank gegenüber.

Basil lag an ihrer Seite,
sein Kopf auf ihrem Rucksack,
sein Atem flach,
aber friedlich.

Clara sprach leise mit ihm,
wie mit einem alten Freund.

Sie las ihm ihre Aufzeichnungen vor,
zeichnete ihn mit Bleistiftstrichen,
die zu zittern begannen,
als sie sah,
dass sein Gang langsamer wurde.

Eines Tages fragte sie ihre Mutter:

„Kann man ein Herz brechen,
wenn jemand nicht mehr da ist –
aber nie wirklich gegangen ist?“

Die Mutter schwieg lange.
Dann sagte sie:
„Ja, Schatz. Und manchmal heilt es,
wenn man es weitererzählt.“

Also schrieb Clara weiter.
Seite um Seite.

Nicht nur über Basil –
sondern über Treue.
Über Zeit.
Über das Warten.
Und über Liebe,
die keine Worte braucht.

Eines Nachmittags,
als ein Sonnenstrahl durch die Wolken brach,
nahm Clara Basil an die Leine
und ging mit ihm den Weg zur Kastanie.

Er blieb stehen.
Schaute zum Fenster.

Und Clara flüsterte:
„Siehst du, Basil? Es ist offen.“

Natürlich war es das nicht.
Aber in ihrer Vorstellung –
und vielleicht auch in seiner –
stand es weit offen.
So wie früher.

Für einen Moment schien es,
als würde er den Kopf heben,
die Ohren spitzen,
und lächeln.

Scroll to Top