Das Körbchen am Fenster | Sie nähte Körbchen für fremde Tiere bis eines Tages ein Hund darin auf sie wartete

🐾 Teil 4: Das neue Projekt


Kaspar winselte leise, kaum hörbar. Monika ließ den Stoff sinken.

Sie rollte näher. Der Hund lag flach auf der Seite, die Augen halb geschlossen, doch nicht in Panik. Es war ein Laut, der nicht aus Schmerz kam, sondern aus Erinnerung. So klang es, wenn Träume zurückkehrten.

„Kaspar?“ Sie beugte sich leicht vor. „Was hast du gesehen?“

Der Hund bewegte sich kaum. Nur seine Pfote zuckte, als würde er im Schlaf etwas erreichen wollen. Dann war wieder alles ruhig.

Monika legte eine Hand auf seinen Rücken. Der Atem ging regelmäßig. Der Körper war warm.

„Du bist noch da.“

Sie blieb einen Moment bei ihm. Hörte das leise Ticken der Uhr. Spürte, wie der Moment sich dehnte. Und dann, ganz langsam, griff sie wieder zum Stoff.


Es war später Nachmittag, als sie das neue Körbchen fast fertig hatte. Es war ein besonderes Stück. Außen ein kräftiges Grün, innen weicher Wollstoff in einem hellen Naturton. Am Rand hatte sie einen schmalen Streifen Samt eingefasst – ein alter Rest, den sie lange aufgehoben hatte. Vielleicht für genau diesen Moment.

Sie betrachtete das Körbchen lange, bevor sie es beiseite legte.

Dann nahm sie einen Zettel und schrieb:

„Für den, der nicht mehr lange laufen kann,
aber noch getragen werden möchte.“

Sie klemmte den Zettel an das Körbchen und ließ ihn dort.


Am nächsten Tag kam Anni wieder.

Diesmal brachte sie keine Stoffe mit, sondern ein paar Ausdrucke. Auf den Blättern waren Fotos und kurze Texte. Oben stand groß:

„Körbchen mit Herz – Handgemacht in Bad Langensalza“

Monika las den Text langsam. Es war ein kleiner Artikel, vorbereitet für die Internetseite des Tierschutzvereins. Eine kurze Geschichte über sie, über Kaspar, über die Körbchen. Ohne Adresse, ohne Nachnamen. Nur der Hinweis, dass es eine Frau gibt, die mit Faden und Geduld Leben verändert.

„Wollen Sie, dass wir das veröffentlichen?“ Anni sah sie fragend an.

Monika schwieg kurz. Dann nickte sie.

„Ja. Aber kein Foto von mir.“

„Verstanden.“

Anni zögerte. Dann zog sie ein weiteres Blatt aus ihrer Tasche.

„Und da wäre noch etwas. Eine Idee, die mir schon länger im Kopf herumgeht.“

Monika hob den Blick.

„Was für eine Idee?“

„Was wäre, wenn wir die Körbchen auf Bestellung nähen würden? Nicht nur für Tierheime. Sondern für Menschen, die ihre Tiere zu Hause pflegen. Alte Hunde. Kranke Katzen. Tiere, die nicht mehr raus können. Die oft übersehen werden.“

Monika dachte nach. Ihre Hände lagen still im Schoß.

„Auf Bestellung?“

„Ja. Mit kleinen Beschreibungen. Was das Tier braucht. Was ihm guttut. Dann nähen Sie gezielt. Nicht einfach nur Körbchen. Sondern Begleiter. Orte der Ruhe.“

Es wurde still im Raum. Nur Kaspar bewegte sich, drehte sich langsam auf die andere Seite, legte den Kopf auf die Vorderpfoten.

Monika sah ihn an.

„Dann machen wir das.“


Bereits am nächsten Tag trafen die ersten Anfragen ein.

Eine Frau aus Nordhausen schrieb, dass ihr Hund Max nach einer Operation nicht mehr richtig liegen könne. Er sei groß, brauche ein Körbchen mit stabilem Rand. Und wenn möglich, ein Kissen, das nicht verrutscht.

Ein junger Mann aus Gotha schrieb über seine Katze, die taub war. Sie erschrecke sich oft, wenn sie aufwache. Ein weiches, geschlossenes Körbchen würde ihr helfen, sich sicherer zu fühlen.

Und eine ältere Dame bat um ein Körbchen für ihren Dackel, der langsam das Augenlicht verlor. Sie wünschte sich einen vertrauten Geruch, vielleicht nach Lavendel.

Monika las jeden Brief zweimal. Dann suchte Stoffe aus. Schnupperte an alten Decken. Fühlte mit den Fingern, welcher Stoff Halt gab und welcher Trost.

Sie nähte mit Bedacht. Langsam, aber sicher. Kein Körbchen glich dem anderen.

Und sie schrieb kleine Karten dazu. Immer mit wenigen Worten.

„Für Max: Damit du ruhst, ohne zu fallen.“

„Für Luna: Damit du träumst, ohne zu schrecken.“

„Für Waldi: Damit du findest, auch wenn du nichts mehr siehst.“


Anni half beim Verschicken. Manchmal brachte sie neue Anfragen mit, manchmal Stoffspenden. Bald sprachen sich die Körbchen herum. Es kamen Briefe aus Erfurt, sogar aus Berlin.

Monika arbeitete jeden Tag ein paar Stunden. Nie zu viel. Immer im eigenen Rhythmus.

Kaspar blieb an ihrer Seite. Er war schwächer geworden, aber ruhig. Wenn sie nähte, schlief er. Wenn sie aufhörte, hob er den Kopf.

Eines Tages jedoch, beim Anlegen der letzten Naht an einem besonders großen Körbchen, hörte sie ein seltsames Geräusch.

Ein Scharren. Direkt hinter ihr.

Sie drehte sich um.

Kaspar stand. Langsam. Unsicher. Und sah auf das neue Körbchen.

Dann trat er näher. Sehr vorsichtig. Schnüffelte daran. Und legte sich hinein.

Monika blieb still. Rührte sich nicht.

Er hatte noch nie von sich aus ein Körbchen betreten. Nie eines angesehen, nie Interesse gezeigt.

Doch dieses – das schien er zu erkennen.

„Kaspar?“

Er hob kurz den Kopf, dann schloss er die Augen.

Monika spürte Gänsehaut auf den Armen.

Denn das war kein Zufall.


Sie setzte sich an den Tisch. Zog das Notizbuch heran.

„Heute, 7. November

Kaspar hat sich das Körbchen ausgesucht.

Es war für niemanden bestimmt.

Jetzt weiß ich, für wen es war.“

Sie klappte das Buch zu. Und blieb lange still sitzen.


Als sie abends das Licht löschte, sah sie im Fenster ihr Spiegelbild und dahinter, im Dunkel, ein Gesicht, das ihr bekannt vorkam.

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