Am Samstag fuhren wir ins Tierheim.
Seiteneingang, langsam. Jonas am Steuer, Leonie auf dem Rücksitz.
Ich trug Walters Kappe. Nicht aus Sentimentalität, sondern weil sie warm war und so roch, als könnte Mut Stoff sein.
Die Halle war halb voll mit Menschen, die mehr erlebt hatten, als ihre Gesichter verrieten.
Tische mit Handzetteln.
Auf einem stand: „Warum alte Hunde? – Weil das Beste oft schon erzählt wurde, aber noch nicht mit Ihnen.“
Moose setzte sich neben meinen Stuhl wie ein Komma. Kein Punkt, kein Ausrufezeichen.
Leute kamen, fragten, schwiegen.
Eine Frau im Rentnerblau blieb stehen, die Finger knoteten sich. „Ich hatte auch einen“, sagte sie. „Er starb im Juli. Ich habe August und September gemieden.“
„Ich habe zwei Winter gemieden“, sagte ich.
„Und jetzt?“
„Jetzt lasse ich die Lampe an.“
Sie streichelte Moose, als würde sie ihr eigenes Herz beruhigen.
„Ich könnte wieder“, murmelte sie. „Vielleicht. Nicht heute. Aber demnächst.“
„Dann nehmen Sie eine Decke mit“, sagte ich. „Für die Brücken.“
Am Rand stand ein Mann mit einer Liste in der Hand, die Hände schwarz von Arbeit.
Er blieb vor Moose stehen, setzte sich hin, tief, langsam, wodurch sein Hosenknie aufseufzte.
„Na, Alter“, sagte er. „Ich hatte einen Karl. Seit Karl weg ist, rede ich mit dem Staubsauger. Der antwortet schlecht.“
Ich lachte, so leise, wie man in Kirchen lacht.
„Er heißt Moose“, sagte ich. „Er mag Brücken und Mandarinen.“
„Ist er… Ihrer?“, fragte er.
„Wir gehören einander zu“, sagte ich. „Das ist genauer.“
Der Mann nickte. „Ich suche keine Perfektion. Nur Gesellschaft, die weiß, wofür Stille gut ist.“
Ich sah zur jungen Frau an der Theke. Sie lächelte dieses wissende Lächeln.
Eine Zwingertür ging auf, und ein anderer Grauschnauzer trat heraus, steif, aber neugierig.
„Das ist Alma“, sagte die Frau. „Zwölf, Herzgeräusch, Arthrose.“
Der Mann hielt still, wie zu Beginn einer Freundschaft, die nicht über Worte funktioniert.
Alma trat einen Schritt, dann noch einen, legte ihre Stirn an sein Knie.
Der Mann weinte, als hätten seine Augen seit Karl nur darauf gewartet, wieder gebraucht zu werden.
Leonie drückte meine Hand. „Brücke“, flüsterte sie.
„Brücke“, sagte ich zurück.
Als wir heimkamen, ließ ich Moose zuerst hineingehen.
Er blieb in der Tür stehen, drehte sich um und wartete, bis mein Stock die Schwelle küsste.
„Guter Junge“, sagte ich. „Guter Mann.“
Im Schein der Eingangslampe schrieb ich Walter erneut.
„Lieber du, heute haben wir gesehen, wie Licht hin- und herwandert. Von Menschen zu Hunden, von Hunden zu Menschen. Manchmal ist es eine Lampe, manchmal eine Pfote. Beides zeigt Heimwege.“
Ich legte den Brief zum anderen unter den Magneten, der aus unseren Nachrichten längst eine kleine Fahne gemacht hatte.
Dann nahm ich die Decke, die Leonie vergessen hatte, den Zwanziger darunter, und schrieb auf den Notizrand: „Für Alma. Für alle Brücken.“
Morgen würde Jonas sie hinübertragen.
In der Nacht, als Moose seine Pfoten im Traum wieder laufen ließ, hörte ich eine andere Bewegung: meine Angst, die den Mantel anzog und leiser wurde.
Ich legte die Hand in Moose’ Fell und stellte mir vor, wie Türen aufhören, Türen zu sein.
Wie sie Brücken werden, dann Gärten, und irgendwann Fenster mit Blick auf ein gemeinsames Zimmer.
„Niemand ist je zu alt, um noch einmal gewählt zu werden“, hatte ich auf den Zettel am Kühlschrank geschrieben.
Heute füge ich darunter, schief und groß, eine zweite Zeile hinzu:
„Und wer wählt, wird selbst gewählt, vom Licht, vom Leben, von dem, was bleibt.“
Moose stieß im Schlaf einen Ton aus, der sich anhörte wie Zustimmung.
Draußen schneite es, aber drinnen war es hell, nicht nur elektrisch.
Manche Gewohnheiten sind Gebete, ja – doch manchmal sind sie auch Antworten.






