🐾 Teil 5: Ein Geräusch in der Dunkelheit
Das Klicken hinter der verborgenen Tür war so leise, dass es auch eine Täuschung hätte sein können. Doch keiner im Raum zweifelte daran, dass es wirklich da gewesen war. Iska spannte sich. Ihre Muskeln wurden hart, der Blick klebte an der Stelle der Wand, hinter der der Gang endete.
Immo Kargel stand reglos. Er hielt die Mütze nicht mehr wie einen höflichen Gegenstand, sondern wie etwas, das er notfalls zwischen sich und die Dunkelheit werfen würde. Seine Augen suchten Alwins Gesicht, als wollte er darin eine Anweisung finden.
Alwin schwieg. Er legte den Brief zurück auf die Werkbank, deckte ihn mit der Hand ab, als könne das Papier selbst erschrecken. Dann wandte er sich zu Iska. Das Tier wartete, den Kopf leicht gesenkt, als lausche es auf eine alte Stimme, die nur sie hören konnte.
Wieder dieses feine Schaben. Kein Versuch, laut zu sein, und gerade deshalb bedrohlich. Als würde jemand genau wissen, dass man nur horcht.
Raban fühlte, wie die Luft enger wurde. Er dachte an den Moorgraben, an das Gefühl, wie der Boden ihn halten und zugleich verschlingen wollte. Dasselbe Drängen lag jetzt in der Scheune, nur ohne Erde, ohne Wasser. Nur in der Stille.
Alwin richtete sich auf. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Wir machen Licht aus. Er drehte den Regler der Lampe, bis das grüne Glas nur noch schwach glimmte. Schatten füllten die Balken, und jeder Atemzug klang doppelt so groß.
Dann geschah etwas Unerwartetes. Iska gab keinen Laut von sich. Sie bewegte sich. Leise, zielsicher, trat sie zum verborgenen Tor. Mit der Nase berührte sie den unteren Rand. Nicht unruhig, eher wie ein Gruß. Danach setzte sie sich, unbeweglich, als sei ihre Aufgabe hier nicht das Bellen, sondern das Warten.
Immo räusperte sich. Seine Stimme war trocken. Meine Mutter hat erzählt, dass Hilla Mahnke manchmal nachts hier stand und dachte, ihr Junge würde durch diese Tür zurückkommen. Es war kein Trost. Nur eine Gewohnheit.
Alwin reagierte nicht sofort. Seine Hände lagen auf der Werkbank, offen, leer. Erst nach einer Weile hob er den Kopf. Ich weiß, sagte er. Ich habe sie gehört. Nicht ihren Jungen, aber das Pfeifen, das blieb. Dreimal kurz, einmal lang. Auch als der Hund schon nicht mehr war.
Raban hielt das Halsband. Er spürte die Kälte des Metalls in der Handfläche. Die Kerbe war rau wie ein Atemzug im Frost. Er wusste, dass die Pfeifen und das Halsband zusammengehörten, und dass das, was hinter dem Tor war, mehr als nur Bretter und Nägel hielt.
Da kam der Ton zum dritten Mal. Diesmal schärfer. Kein vorsichtiges Tasten mehr. Ein klares Drücken. Der Riegel vibrierte im Holz. Iska sprang hoch, stand mit den Vorderpfoten an der Wand und stieß ein Bellen aus, tief, erschütternd, als hole sie es aus einer anderen Zeit.
Alles im Raum spannte sich. Immo trat zurück, fast gegen die Tür zum Hof. Alwin packte die Lampe, hob sie an, und der Lichtschein warf einen schmalen Streifen über die Bohle. Man konnte die Nägel sehen, rostig, lose, und doch hielten sie.
Dann verstummte das Rütteln. Als hätte jemand eingesehen, dass die Tür nicht aufging. Oder als hätte er nur geprüft, ob innen noch jemand war. Die Stille danach war schwerer als das Geräusch selbst.
Alwin stellte die Lampe zurück. Seine Stimme war fest. Wir lassen das Tor. Heute nicht.
Immo nickte, aber sein Gesicht war angespannt. Was immer da draußen war, er glaubte nicht, dass es einfach gehen würde. Doch er schwieg.
Stattdessen griff Alwin nach dem Heft mit den Wegzeichen. Er schlug eine Seite auf, die er zuvor übersprungen hatte. Dort war eine Skizze der Felder, grob, aber erkennbar. Am Rand stand ein Satz. Wenn die Pfeife zweimal klingt, geh zum alten Brückenjoch. Dort, wo der Balken fehlt, liegt das, was bleibt.
Alwin legte die Hand auf die Seite, als wolle er die Schrift vor dem Verschwinden bewahren. Sein Blick wanderte zu Raban. Morgen früh gehen wir hin, sagte er. Bei Licht. Nicht in der Nacht.
Iska legte sich nieder. Ihr Körper blieb gespannt, doch die Augen schlossen sich halb. Sie wirkte nicht besiegt, sondern entschlossen, als hätte sie etwas von der Wache übernommen.
Immo setzte sich auf den Melkschemel, noch immer die Mütze in der Hand. Er sagte leise: Ich will mitkommen. Nicht, um zu stören. Nur weil es auch meine Mutter ist, die noch fragt.
Alwin sah ihn lange an. Schließlich nickte er. Dann drehte er den Docht höher, ließ das Licht wieder in den Raum zurückkehren. Die Werkbank, die Lampe, die Pfeife, das Halsband – alles lag da, als gehörte es zusammen.
Doch keiner der drei sprach mehr über das Klicken hinter der Wand. Nicht an diesem Abend.
Die Stunden bis zum Morgen gingen still vorbei. Doch Raban konnte nicht schlafen. Immer wieder hörte er in sich hinein, ob nicht doch noch ein Pfiff käme, ganz leise, von irgendwo zwischen Holz und Erde. Und als er endlich die Augen schloss, träumte er von einem Hund, der durch Schnee lief, ohne Spuren zu hinterlassen.
Am frühen Morgen, als der Himmel noch grau war und die Pappeln den Wind hielten, gingen sie zum Brückenjoch. Das Wasser darunter war niedrig, aber schwarz. Ein Balken fehlte, genau dort, wo das Heft es beschrieben hatte.
Iska stand am Rand, die Pfoten fest im Sand. Sie blickte nicht ins Wasser. Sie blickte unter den Balken. Dann stieß sie ein Laut aus, kein Bellen, kein Jaulen. Ein Ton, der zugleich Ruf und Antwort war.
In der Dunkelheit unter dem Holz schimmerte etwas. Nicht groß. Nicht hell. Aber genug, um zu wissen, dass es kein Stein war.
Alwin kniete nieder. Seine Hand zitterte, als er sie ausstreckte. Das Wasser war kalt. Er griff. Ein Metallgegenstand kam zum Vorschein, schwer und glatt. Er hielt ihn hoch.
Es war eine kleine Schatulle, von Eisen, mit einem verschlossenen Riegel. Auf dem Deckel, eingeritzt und vernarbt, standen wieder zwei Linien, die sich trafen.
Die Luft wurde still. Nur das Wasser bewegte sich. Und für einen Atemzug schien es, als wäre der Pfiff aus der Vergangenheit wieder ganz nah, kurz, dringlich, fast so, als wolle er sagen: öffnet mich nicht hier.