🐾 Teil 5: Die Wache des Hofes
Der Tag trägt sie. Greta frisst kaum, aber sie trinkt. Maris fasst die Entscheidung, nicht allein zu sein, wenn die Nacht wieder groß wird. Sie schreibt eine Liste. Namen, Uhrzeiten, kleine Dienste. Erwin übernimmt den Morgen. Ilsebeth die Stunde des Mittagsschatten. Struwe den Nachmittag. Aylin die Nacht, wenn der Hof zu atmen scheint.
Menschen beginnen zu erzählen, weil Schweigen auf Dauer schwerer ist. Erwin spricht von Else, die Edda Halverscheid hieß und der die Tasse gehörte. An Pfingsten habe sie Kinder mit Wasser bespritzt, das nach Münzen schmeckte. Ilsebeth berichtet vom Tag, als Silex aus dem Tierheim kam und zuerst nur die Geräusche der Heizkörper nachpfiff. Struwe gesteht, dass er manchmal in Klassenzimmer träumt, obwohl er seit Jahren nicht mehr unterrichtet.
Quast bringt Blätter. Tarn und Quendel lassen Federn. Silex webt aus Tönen kleine Netze. Der Hof sammelt. Einmal kommt Dietmar und bleibt am Rand. Er hört zu, wie die Geschichten zirkulieren, ohne jemandem zu gehören. Am Ende des Tages sagt er, er habe mit dem Vermieter gesprochen. Konrad Zöllig wolle sich die Sache ansehen. Ein Satz, der kalt sein könnte, fällt warm.
Abends zieht Wind aus Richtung Neckar. Greta zittert kurz. Aylin deckt sie zu, bis die Ruhe wieder liegt. Maris sitzt so, dass die Schulter die Decke berührt, gleichmäßig, wie eine Fortsetzung. Erwin schiebt die Tasse näher, als sei der Weg des Wassers eine Erzählung in Etappen. Struwe schweigt und schaut auf das Eisenrad.
Gegen Mitternacht wird Gretas Atem flacher. Aylin erkennt das Muster und ruft Dr. Neuffer. Sie kommt, legt eine Hand auf den Hals und schaut in die Augen, nicht um zu lesen, sondern um zu bleiben. Sie spritzt ein Mittel, das Schmerz beiseiteschiebt. Sagt, man solle das Licht nicht heller drehen. Sagt, man solle den Hof atmen lassen.
Die Nacht bricht nicht, sie dehnt sich. Maris erinnert sich an das erste Mal, als Greta die Treppen hinaufstürmte, jung und falsch geführt, bis sie lernte, dass Häuser nicht gejagt werden. Erwin murmelt einen Psalm ohne Gott. Ilsebeth streicht das Tuch glatt. Silex schweigt. Die Tauben schlafen irgendwo, wo Wind und Blech zusammenklingen.
Als die Uhr drei schlägt, hebt Greta den Kopf noch einmal. Ihre Augen suchen. Aylin folgt dem Blick und versteht, ohne ihn zu fassen. Sie stellt die Tasse so, dass der Rand das Nasenbein berührt. Greta nimmt einen Schluck. Dann schließt sie die Augen. Der Atem wird tiefer. Eine Stunde später schläft sie. Nicht die kleine Art von Schlaf, sondern die, die Räume baut.
Der Morgen findet sie noch da. Eine Linie hat sich geglättet. Aylin lächelt das erste Mal seit Tagen. Maris weint, aber leise, weil etwas nicht verloren, sondern verlagert scheint. Erwin steht und streckt die Knie. Ilsebeth macht Kaffee für alle, stark und schwarz. Der Hof riecht nach Metall und Bohne.
Gegen Abend hängt ein Blatt am Brunnenrad fest. Quast hockt darunter, als würde er wachen. Tarn und Quendel landen auf dem Sims, nahe, als wollten sie ihren Körpern etwas erklären. In Maris wächst ein Satz, der sofort wieder zu groß ist. Morgen spricht sie mit Konrad Zöllig, so sagt sie. Morgen will sie ihn hierher bitten, in diesen Hof, der noch gestern nur ein Hof war.
Und als die Nacht wiederkehrt, trägt sie eine Unruhe in den Taschen.