Der alte Brunnenhof | Als die kranke Hündin Greta im alten Mannheimer Brunnenhof lag, veränderte sich eine ganze Nachbarschaft

🐾 Teil 9: Unter dem Fliederbusch

Der Morgen ist klar. Man trifft sich früh. Dr. Neuffer kommt noch einmal, um nach allen zu sehen, nicht nur nach dem, was da liegt. Greta ruht auf der Decke, ihr Fell ruhig wie Wasser ohne Wind. Maris sitzt am Rand, die Hände auf den Knien, leer und voll zugleich. Aylin legt die Stirn kurz auf den Handrücken, um einen Atemzug zu holen, der nicht schmerzt.

Erwin spricht ein paar Worte, die an Gebete erinnern, ohne eins zu sein. Struwe liest einen Satz, den ein Schüler vor Jahren schrieb. Jemand streicht das rote Tuch glatt. Tarn und Quendel kreisen ein einziges Mal, dann setzen sie sich. Silex singt einen Ton, der nirgends hin will und genau bleibt. Quast nährt sich und bleibt still, seine Nase bewegt sich zart.

Sie begraben Greta unter dem Fliederbusch am Rand des Hofes, dort, wo im Frühling die Luft eine Erinnerung wird. Erwin schaufelt langsam, weil schnell hier nicht passt. Maris legt das rote Tuch in die Erde, nicht als Abschied, sondern als Teil des Ortes. Aylin stellt die Emailletasse an den Fuß des Flieders. Ilsebeth streicht mit dem Finger eine Linie durch den feuchten Boden.

Später sitzen sie auf der Bank. Der Brunnen plätschert leise, als habe er gelernt, was Takt ist. Dietmar bringt eine kleine Tafel. Struwe hat die Worte schon geschrieben. Für das, was blieb, weil wir blieben. Es ist einfach, und es ist viel. Konrad Zöllig schickt eine Nachricht. Er bedankt sich für die Ordnung und wünscht einen ruhigen Abend.

Die Stunden danach sind seltsam. Der Hof ist derselbe, aber er verhält sich anders. Geräusche kehren zurück, doch sie haben etwas abgelegt. Die Kinder malen neue Kreidespuren, die zu nichts führen müssen. Ilsebeth trägt Silex zurück ins Zimmer. Er pfeift eine kurze Figur, die nach Abschied klingt, ohne weh zu tun. Tarn und Quendel holen Wasser vom Brunnenrand. Quast gräbt, ohne Wurzeln zu finden.

Maris bleibt sitzen, als alle gegangen sind. Aylin setzt sich zu ihr. Man sagt wenig. Der Geruch von Fliederblatt und feuchter Erde verbindet sich mit dem Metall des Brunnenrandes. Manchmal genügt ein Atemzug, um zu wissen, dass etwas nicht endet, nur anders weitergeht. Maris legt die Hand auf die Bank. Aylin nimmt sie, als gehöre es zur Wache.

Als die Dämmerung kommt, flackern Fenster. Der Hof wird ein Zimmer ohne Decke. Maris steht auf und bleibt am Flieder stehen. Ein leiser Wind bewegt die Blätter. Sie hört nichts, was man hören könnte. Aber sie merkt, dass Stille hier nicht leer ist. Sie geht hinein und schließt die Tür hinter sich, nicht als Trennung, sondern als Punkt.

In der Nacht träumt sie, der Brunnen rede. Er rede nicht in Wörtern, sondern in Wasser.

Und am Morgen liegt ein einzelnes Taubenfederchen auf dem roten Tuch.

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