Der alte Brunnenhof | Als die kranke Hündin Greta im alten Mannheimer Brunnenhof lag, veränderte sich eine ganze Nachbarschaft

🐾 Teil 10: Ein neuer Atem im Brunnenhof

Der Winter wird hart, dann weich. Schnee fällt einmal, bleibt kaum. Die Kinder lernen, Flieder im Januar anders zu zeichnen. Der Brunnenhof hat einen neuen Atem. Die Bank mit der Inschrift steht, als stütze sie mehr als Rücken. Die Emailletasse bleibt am Fuß des Strauchs. Jemand füllt sie, wenn der Tag beginnt. Man weiß nicht, wer.

Aylin arbeitet weiter Nachtdienste, aber sie kommt häufiger in den Hof, als wäre hier ein zweiter Puls. Erwin raucht seltener. Struwe schreibt auf, was niemand zu Papier bringen wollte, und merkt, dass eine Chronik entsteht. Ilsebeth überlegt, zu ihrer Schwester zu ziehen, verschiebt es, bleibt. Silex lernt eine neue Tonfolge, die ein Kind an der Ecke gepfiffen hat.

Konrad Zöllig taucht gelegentlich auf. Er bringt einmal Brötchen mit, unsicher, wie man sie überreicht. Dietmar lächelt inzwischen, wenn er in den Hof tritt, als wisse er, dass Häuser nicht nur aus Wänden bestehen. Die Mieterin aus dem Hinterhaus sitzt manchmal auf der Bank und liest, spät, wenn andere schlafen.

Im März, wenn die Luft nach etwas erinnert, das noch nicht da ist, kommt eine Frau in den Hof. Sie heißt Ragna Feldhoff und trägt eine Leine, an deren Ende ein junger Hund steht, schmal, mit Augen, die selten blinzeln. Sie wohnt neu im Hinterhaus. Der Hund heißt Mallow. Ein Name, der nach Kirsche klingt und doch keiner ist. Ragna fragt vorsichtig, ob Hunde hier geduldet seien, wenn sie leise sind.

Maris lächelt und zeigt auf die Bank. Aylin nickt. Erwin räuspert sich und sagt, dass hier alles geduldet sei, was bleibt, wenn anderes geht. Struwe erklärt den Brunnen, als sei er eine Person, die man vorstellen muss. Ilsebeth bringt Wasser. Silex singt einen Ton, der zu Mallow passt. Tarn und Quendel fliegen tiefer, als wollten sie prüfen, ob der Neue die Luft versteht. Quast erscheint, schnuppert und zieht sich zurück, als kenne er die Regeln.

Ragna setzt sich. Mallow legt den Kopf auf die Bank. Maris bemerkt die Bewegung, die sie kennt, ohne zu verweilen. Sie holt die Emailletasse, füllt sie. Mallow trinkt. Ragna erzählt, dass sie eine Pflegestelle ist, dass der Hund aus einem Tierheim kommt, weit weg, eine Strecke, die man weder messen noch vergessen will. Sie sagt, dass sie geblieben ist, weil der Hof sie gebeten hat, obwohl niemand sprach.

Der Frühling bricht auf. Der Flieder zeigt Grün. Die Tafel an der Bank glänzt, wenn die Sonne steht. Kinder lernen neue Spiele aus alten Kreiden. Jemand legt ein Federchen neben die Tasse. Jemand wickelt ein kleines Blatt in eine Papierserviette und legt es an den Brunnenrand. Dinge finden ihren Platz.

Maris sitzt am Abend lang im Hof. Sie denkt an das rote Tuch, das unter der Erde liegt wie eine Spur, die niemand verwischt. Sie denkt an Atemzüge, die gezählt wurden, und an solche, die weiter zählen. Aylin setzt sich dazu. Erwin sagt, man solle den Sommer feiern, wenn er kommt. Struwe bietet an, die Worte zu finden. Ilsebeth nickt. Silex singt.

Mallow hebt den Kopf und schaut zum Flieder. Sein Blick bleibt dort, wo die Luft einen Namen hat. Ragna legt die Hand auf sein Fell. Der Brunnen plätschert ruhig, fast so, als erzähle er die Geschichte, die hier blieb. Tarn und Quendel zeichnen einen Kreis über die Dächer. Quast liegt unter der Bank und atmet den Geruch von Erde, die etwas weiß.

Es ist still. Nicht leer. Es ist eine Stille, in der Wasser spricht und Menschen hören. Der Hof ist nicht mehr das Viereck der Mauern. Er ist ein Ort, der Dinge behält, ohne sie festzuhalten.

Und das Wasser erinnert die Namen, die wir ihm anvertrauten.

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