Der Apfelkorb | Die Geschichte von Heinrich, seiner Hündin Berta und einem Korb voller unerwarteter Wunder

🐾 Teil 6: Besuch im Krankenhaus und ein Versprechen

Der Herbst schritt voran, und mit ihm wuchs die Schwere in der Luft. Die Bäume warfen ihre Blätter ab, die Äpfel lagen nun in großen Körben im Haus gestapelt, bereit zum Einkochen.

Heinrich hatte die Hilfe der Kinder und Pauls Hände, die kräftiger zupackten, als er selbst es noch konnte. Doch trotz all der Bewegung schlich sich die Einsamkeit in die Abende, wenn die Stimmen verklungen waren und das Ticken der Uhr zu laut wurde.

An einem dieser Abende saß Heinrich am Tisch. Vor ihm stand der Korb, halb gefüllt, und daneben die bunten Zettel, die die Kinder immer wieder hineingeschmuggelt hatten. Er nahm einen heraus, betrachtete die Striche, die Farben, die kindliche Unvollkommenheit. Auf diesem war eine Bank gemalt, daneben ein Hund, und auf der Bank ein alter Mann. Über ihnen spannte sich ein Regenbogen. Heinrichs Augen blieben lange an diesem Bild hängen.

Paul trat herein. Er hatte nicht geklopft, tat es inzwischen nie mehr. Seine Schritte waren leise, fast vorsichtig. Er sah den Zettel und fragte nicht, sondern setzte sich einfach dazu. Eine Zeit lang sprachen sie nicht.

Dann erzählte Paul von seiner Mutter. Sie lag in Bamberg im Krankenhaus, schwach, angeschlossen an Schläuche, und er hatte sie seit Tagen nicht gesehen. Die Tante habe gesagt, es sei besser so, doch in Pauls Augen lag ein Trotz, der nicht zu überhören war.

Heinrich legte den Zettel zurück in den Korb. Er überlegte, was zu sagen war, und entschied sich für das Einfachste. Dass er mitkommen werde, wenn Paul seine Mutter besuchen wolle. Der Junge sah ihn an, überrascht, dann nickte er langsam.

Am nächsten Morgen machten sie sich auf den Weg. Heinrich trug den Stock, Paul den Korb, in dem diesmal keine Äpfel lagen, sondern nur zwei Zettel, die Marie am Abend zuvor hineingeschoben hatte. Darauf stand in krakeliger Schrift: Für Pauls Mama.

Der Bus nach Bamberg war alt, seine Sitze abgegriffen, das Fenster beschlagen. Heinrich saß am Gang, Paul starrte hinaus. Die Felder zogen vorbei, grau und braun, nur noch Reste von Grün in den Gräben. Niemand sprach viel. Doch die Fahrt selbst war schon ein Versprechen: dass sie den Weg nicht allein gehen mussten.

Im Krankenhaus roch es nach Desinfektionsmittel und Müdigkeit. Paul führte Heinrich den Gang entlang, bis sie vor einem Zimmer standen. Dort lag seine Mutter, schmal, mit einem Gesicht, das mehr Jahre trug, als ihr Alter erlaubte. Sie öffnete die Augen, als Paul eintrat. Ein schwaches Lächeln zog über ihr Gesicht, und in diesem Lächeln lag eine Wärme, die trotz der Kälte des Raums spürbar wurde.

Heinrich trat an das Bett, stellte den Korb auf den Stuhl daneben. Er nahm einen der Zettel heraus und legte ihn auf die Decke. Pauls Mutter betrachtete ihn lange, und ihre Augen füllten sich mit Wasser. Sie sagte leise, dass sie nicht wisse, wie sie danken solle. Heinrich schüttelte den Kopf. Dank sei nicht nötig.

Als sie das Krankenhaus verließen, lag eine neue Schwere auf Pauls Schultern. Doch neben dieser Schwere schien auch etwas anderes zu wachsen, eine Kraft, die ihn aufrechter gehen ließ. Er trug den Korb so fest, dass seine Finger weiß wurden, und als sie wieder in Ebern ankamen, stellte er ihn nicht in die Ecke, sondern mitten auf den Tisch.

Die Kinder kamen am Nachmittag, brachten wieder Zettel, wieder Farben, wieder Stimmen. Sie fragten Paul nach seiner Mutter, und er erzählte, ohne Scheu, von ihrem Lächeln. Marie legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte, dass die Äpfel für sie weiter wachsen würden, so wie sie für Berta gewachsen waren.

Heinrich hörte zu und spürte, wie sich der Raum füllte. Es war, als würden die Stimmen der Kinder und Pauls leise Worte etwas heilen, das lange wund gewesen war. Doch tief in seiner Brust blieb ein Ziehen, ein Wissen, dass die Tage gezählt waren.

Am Abend, als die Kinder fort waren und das Haus wieder still wurde, nahm Heinrich den Korb auf seinen Schoß. Er strich mit den Fingern über das Geflecht, spürte die Rillen des Holzes, die Stellen, an denen es schon rau geworden war. Dieser Korb war mehr als ein Gegenstand. Er war ein Träger von Lasten und Hoffnungen, von Abschieden und Anfängen.

Er dachte an Liesel, an Berta, an die Jahre, die vergangen waren. Er dachte an die Kinder und an Paul, die nun in sein Leben getreten waren wie Lichtstrahlen durch ein staubiges Fenster.

In dieser Nacht träumte er wieder. Doch diesmal war es kein Feld, kein Licht, kein Abschied. Er sah den Korb, voll mit Äpfeln und Zetteln, getragen von vielen Händen. Kinder, Nachbarn, sogar Fremde trugen ihn, und er selbst ging daneben, leicht, ohne Stock, ohne Mühe.

Als er erwachte, blieb das Bild. Und in ihm wuchs ein Gedanke, so leise und doch so stark, dass er ihn nicht mehr losließ: Vielleicht war dieser Korb nicht nur sein Vermächtnis, sondern der Anfang einer Gemeinschaft, die größer war als er selbst.

Und in diesem Gedanken lag etwas, das ihn zugleich erschreckte und tröstete. Denn er spürte, dass der Tag kommen würde, an dem er den Korb aus der Hand geben musste.

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