Der Apfelkorb | Die Geschichte von Heinrich, seiner Hündin Berta und einem Korb voller unerwarteter Wunder

🐾 Teil 7: Der Korb auf dem Marktplatz

Der Gedanke, den Korb eines Tages aus den Händen geben zu müssen, begleitete Heinrich wie ein Schatten. Er sprach nicht darüber, doch er trug ihn in jeder Bewegung mit sich, wenn er morgens durch den Garten ging, wenn er die Äpfel aufhob oder wenn er die bunten Zettel der Kinder glattstrich. Der Korb war zu einem Herzstück seines Lebens geworden, und zugleich wusste er, dass er nicht ewig bleiben konnte.

Die Kinder bemerkten die Veränderung. Heinrich sprach weniger, seine Augen lagen öfter fern. Paul hingegen wurde lebendiger. Er erzählte mehr, lachte manchmal sogar, und wenn er über den Garten schritt, wirkte er, als gehöre er längst hierher.

Jonas war anfangs eifersüchtig, weil Paul so selbstverständlich seinen Platz einnahm, doch bald verstand er, dass der Korb groß genug war, viele Hände zu tragen.

Eines Samstags schlug Frau Vogel vor, die Äpfel nicht nur einzukochen, sondern auf dem Marktplatz zu verkaufen. Die Kinder waren begeistert, Paul ebenfalls. Heinrich zögerte. Der Korb war immer ein stilles Ritual gewesen, kein öffentliches Symbol. Aber die Nachbarschaft drängte, und schließlich gab er nach. Vielleicht, dachte er, war dies ein erster Schritt, den Korb mit der Welt zu teilen.

Am Markttag füllten sie den Korb bis zum Rand. Zwischen den Äpfeln lagen die bunten Zettel, die Kinderbilder und kleine Botschaften. Jeder Käufer bekam nicht nur eine Frucht, sondern auch ein Stück dieser unsichtbaren Gemeinschaft. Die Menschen staunten, manche lachten, manche hielten inne und wurden still. Es sprach sich schnell herum, dass bei Bauer Heinrich nicht nur Äpfel zu haben waren, sondern Geschichten.

Paul übernahm das Verkaufen, seine Stimme klar, seine Augen wach. Marie schrieb die Preise auf kleine Schilder, Jonas trug Kisten heran, die Zwillinge boten den Leuten Kostproben an. Heinrich saß auf der Bank am Rand, den Stock neben sich, und beobachtete. Er spürte eine Wärme, die nicht von der Herbstsonne kam, sondern von der lebendigen Bewegung um ihn herum.

Als der Tag zu Ende ging, war der Korb leer. Nur ein einziger Apfel lag noch darin, neben einem Zettel, auf dem ein Herz gemalt war. Heinrich nahm ihn in die Hand, und er wusste, dass der Korb nicht mehr allein ihm gehörte.

Am Abend feierten sie im Garten. Es gab Apfelkuchen und heißen Saft, die Nachbarn kamen, manche brachten Musik mit. Kinder rannten zwischen den Bäumen umher, ihre Stimmen klangen wie ein Schwarm Vögel. Heinrich saß zwischen ihnen und fühlte sich, als sei das alte Haus wieder jung geworden.

Doch als die Dunkelheit hereinbrach und die Gäste nach und nach gingen, kehrte die Stille zurück. Heinrich blieb allein zurück mit Paul, der die Stühle stapelte. Sie setzten sich nebeneinander unter den großen Apfelbaum, und der Mond schien auf die leeren Körbe.

Heinrich sagte leise, dass er nicht wisse, wie lange er das noch könne. Paul schwieg einen Moment, dann antwortete er, dass er weitermachen werde. Dass er den Korb tragen könne, wenn Heinrich nicht mehr dazu in der Lage sei.

Heinrich sah ihn an. In Pauls Gesicht lag keine Überheblichkeit, nur ein stiller Ernst, der größer wirkte als sein Alter. Zum ersten Mal spürte Heinrich, dass es möglich war, den Korb loszulassen, ohne dass er verloren ging.

In dieser Nacht schlief er unruhig. Wieder sah er Berta, diesmal nicht am Rand eines Feldes, sondern mitten zwischen den Kindern und Paul. Sie stand da, aufrecht, mit wachem Blick, und der Korb lag zu ihren Pfoten. Als er erwachte, war sein Kissen feucht von Tränen, die er nicht bemerkt hatte.

Am nächsten Morgen fühlte er sich schwach. Der Weg in den Garten fiel ihm schwerer als sonst, die Hände zitterten, und er musste sich am Stock fester aufstützen. Paul merkte es sofort, kam herbei und nahm ihm den Korb ab. Heinrich wollte protestieren, doch er ließ es zu.

Zusammen gingen sie unter den Baum. Heinrich setzte sich auf die Bank, Paul stellte den Korb zu seinen Füßen. Die Kinder kamen kurz darauf, lachend, mit neuen Zetteln in den Händen. Sie legten sie zwischen die Äpfel, ohne groß darüber zu reden.

Heinrich beobachtete, wie Paul den Korb anhob, ihn sicher in den Händen hielt. Es war derselbe Korb, den er seit Jahren getragen hatte, und doch sah er nun anders aus. Er war kein Symbol für das Vergangene mehr, sondern für etwas, das weitergehen konnte.

Als die Glocken mittags läuteten, hob Heinrich den Blick zum Himmel. Er atmete schwer, aber er lächelte. Der Korb würde nicht untergehen mit ihm. Er hatte Hände gefunden, die ihn weitertragen würden.

Und in diesem Lächeln lag eine Ruhe, die zugleich tröstete und ahnen ließ, dass ein Abschied näher rückte, als alle wahrhaben wollten.

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