Der Apfelkorb | Die Geschichte von Heinrich, seiner Hündin Berta und einem Korb voller unerwarteter Wunder

🐾 Teil 8: Abschied im Licht des Gartens

Die Tage wurden kürzer, und der Herbst schob die Schatten früher in die Straßen. Im Garten hing der letzte Duft von Äpfeln, süß und schwer, doch die meisten Früchte waren längst geerntet.

Heinrich saß oft am Fenster und sah hinaus, während die Kinder spielten oder Paul Holz stapelte. Sein Körper wurde müder, seine Schritte kürzer, aber in seinen Augen lag eine stille Klarheit, als wüsste er, dass alles seinen Lauf nahm.

Eines Abends, als der Wind die ersten Blätter in die Gassen trug, rief er die Kinder zu sich. Sie versammelten sich in der Stube, auf Stühlen, auf dem Boden, manche auf der alten Bank. Der Korb stand in der Mitte, gefüllt mit den letzten roten Früchten. Heinrich strich über das Geflecht, dann hob er den Blick.

Er sprach von der Zeit, in der er jung gewesen war, als die Bäume gerade gepflanzt wurden. Liesel habe die zarten Stämme gestützt, und Berta sei später um die Wurzeln getollt, wenn die Erde noch frisch war. Jeder Apfel, sagte er, sei ein Stück dieser Erinnerung, und jeder Zettel, den die Kinder hineingelegt hatten, habe etwas Neues hinzugefügt.

Die Kinder hörten still. Selbst die Zwillinge, die sonst nie lange ruhig bleiben konnten, hielten inne. Paul sah nicht auf den Korb, sondern auf Heinrich, aufmerksam, als müsse er jedes Wort in sich aufnehmen.

Schließlich nahm Heinrich einen Apfel aus dem Korb. Er reichte ihn Jonas. Dann nahm er einen zweiten und gab ihn Marie. So ging er die Runde, bis jeder Kind eine Frucht in der Hand hielt. Zum Schluss nahm er einen Zettel heraus, den Paul gezeichnet hatte. Ein Hund mit dunklen Augen, neben einem Baum, unter dem ein Kreis von Kindern saß. Heinrich hielt ihn lange, dann legte er ihn behutsam zurück.

Er sagte, dass der Korb nicht länger nur ihm gehöre. Dass er jetzt allen gehöre, die ihn füllten. Die Kinder sahen sich an, manche nickten, andere lächelten unsicher, als hätten sie zum ersten Mal verstanden, wie groß das Versprechen war, das darin lag.

Am nächsten Morgen blieb Heinrich länger im Bett. Paul klopfte an die Tür, trat ein und fand ihn dort, schwach, aber wach. Heinrich bat ihn, den Korb zu holen und die Kinder zu rufen. Gemeinsam kamen sie, und zum ersten Mal war es nicht Heinrich, der den Korb hinaus in den Garten trug, sondern Paul.

Sie stellten ihn unter den alten Baum, die Sonne brach durch die Nebelschwaden und legte Lichtflecken auf das Gras. Heinrich setzte sich auf die Bank, schwer atmend, doch mit einem Blick, der wach war wie lange nicht mehr.

Die Kinder legten neue Zettel in den Korb. Marie hatte eine Sonne gemalt, Jonas ein Haus, die Zwillinge zwei Figuren, die sich an den Händen hielten. Paul legte keinen Zettel hinein, sondern hob einen Apfel hoch, als wolle er zeigen, dass auch das Genügen könne.

Heinrich sah sie alle an. Seine Lippen bewegten sich, als wolle er Worte formen, doch nur sein Blick sprach. Er nickte, langsam, ein Dank, ein Abschied, ein Segen zugleich.

Dann schloss er die Augen, für einen Augenblick, der länger dauerte als gewöhnlich. Sein Atem ging schwer, wurde flacher. Paul legte ihm eine Hand auf die Schulter, die Kinder rückten näher, Frau Vogel, die aus dem Fenster gesehen hatte, kam über den Zaun und setzte sich dazu.

Es geschah nichts Lautes. Kein Schrei, kein Sturz. Nur die Stille wurde dichter, so dicht, dass man das Fallen eines Blattes hören konnte. Heinrich öffnete die Augen noch einmal, sah auf den Korb, und in diesem Blick lag etwas, das mehr sagte als Worte. Dann sank sein Kopf leicht zur Seite, und die Stille verwandelte sich in eine Gewissheit.

Die Kinder weinten, Marie vergrub das Gesicht in ihren Händen, Jonas hielt sie fest. Die Zwillinge drängten sich an Paul, der selbst Tränen in den Augen hatte, aber aufrecht blieb. Frau Vogel legte die Hand auf Heinrichs Stirn, strich sie glatt und sprach ein stilles Gebet.

Der Korb stand noch immer unter dem Baum, gefüllt mit Äpfeln und Zetteln. Die Sonne traf sein Geflecht, ließ die Farben aufleuchten, als sei er mehr als nur ein Gegenstand.

In dieser Stunde wurde allen klar, dass Heinrich gegangen war. Doch der Korb, sein Vermächtnis, blieb. Und mit ihm die Aufgabe, die er den Kindern, Paul und der ganzen Nachbarschaft hinterlassen hatte.

Als die Glocken der Kirche zu schlagen begannen, hielt Paul den Korb hoch. Nicht als Trophäe, sondern als Zeichen. Die Kinder blickten zu ihm auf, und obwohl die Trauer schwer war, lag in diesem Moment auch etwas anderes. Ein Versprechen, das weitergetragen werden musste.

Die Sonne brach stärker durch die Wolken, und der Garten war erfüllt von einem Licht, das fast wie ein neuer Anfang wirkte.

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