Der Apfelkorb | Die Geschichte von Heinrich, seiner Hündin Berta und einem Korb voller unerwarteter Wunder

🐾 Teil 9: Der Korb wird zum Vermächtnis

Der Tod von Heinrich sprach sich schnell in der kleinen Stadt herum. Noch am selben Abend standen Kerzen vor seinem Haus, abgestellt von Nachbarn, von Fremden, von Menschen, die ihn kaum gekannt hatten, aber den alten Mann doch immer gesehen hatten, wie er Tag für Tag mit seinem Korb durch die Straßen ging.

Die Kinder kamen am nächsten Morgen wieder. Ihre Gesichter waren verquollen vom Weinen, doch ihre Schritte waren fest. Paul stand schon im Garten, der Korb neben ihm, leer. Er hatte ihn mit Bedacht auf die Bank gestellt, als müsse er bewachen, dass niemand ihn anrührte, bevor alle da waren.

Frau Vogel brachte Kuchen. Sie setzte sich zu ihnen und erzählte von Heinrichs Jugend, von den Jahren, als er mit Liesel noch jung war, vom Tanz im Saal über der Wirtschaft, vom ersten Apfelbaum, den sie gemeinsam gepflanzt hatten.

Die Kinder hörten aufmerksam zu, Paul auch, und zum ersten Mal begriffen sie, dass Heinrich nicht nur der alte Mann mit dem Hund gewesen war, sondern ein Mensch mit einer ganzen Geschichte.

Später am Tag kamen noch mehr Menschen. Manche brachten Blumen, andere kleine Erinnerungsstücke. Eine Frau legte ein altes Foto in den Korb, auf dem Heinrich als junger Mann zu sehen war, neben Berta, damals noch ein Welpe.

Jemand anderes legte ein Stück Brot hinein, als Zeichen der Dankbarkeit. Der Korb füllte sich, ohne dass jemand ihn aufforderte, und wurde zum Mittelpunkt des Abschieds.

Die Kinder beschlossen, dass sie etwas tun mussten. Jonas schlug vor, die Zettel, die sie über die Wochen gesammelt hatten, im Garten aufzuhängen. So hingen bald bunte Bilder zwischen den Ästen der Apfelbäume, flatterten im Wind und leuchteten wie kleine Fenster, durch die man in Heinrichs und Bertas Welt sehen konnte.

Paul kümmerte sich um die Beerdigungsvorbereitungen. Er sprach mit dem Pfarrer, er ging mit Frau Vogel zum Bestatter. Für sein Alter war das ungewöhnlich, fast zu viel Verantwortung, aber er trug sie, als sei sie ihm auf den Leib geschrieben. Die Kinder halfen, wo sie konnten, doch es war Paul, der den Ton setzte, ruhig, konzentriert, mit einer Entschlossenheit, die niemand von ihm erwartet hätte.

Am Tag der Beerdigung war die Kirche voll. Menschen standen sogar draußen auf dem Platz. Auf dem Sarg lag ein Kranz aus Apfelzweigen, den die Kinder gebunden hatten. Und vorne, neben dem Altar, stand der Korb. Er war gefüllt mit Äpfeln und bunten Zetteln, mit all den kleinen Botschaften, die Heinrich gesammelt hatte.

Der Pfarrer sprach von Treue und von Gemeinschaft, von der Art, wie kleine Gesten das Leben eines Menschen hell machen können. Doch als er schwieg, trat Paul nach vorne. Niemand hatte ihn darum gebeten. Er stellte sich neben den Korb, die Hände zitterten leicht, doch seine Stimme war fest.

Er erzählte von dem Tag, an dem er zum ersten Mal über den Zaun geklettert war, wie er eigentlich nur hatte helfen wollen, ohne zu wissen, warum. Er erzählte, dass Heinrich ihm ein Zuhause gegeben hatte, als er selbst keines mehr hatte, und dass er ihm gezeigt hatte, wie viel in einem einfachen Korb liegen kann.

Die Menschen hörten gebannt zu. Es war keine geschliffene Rede, keine Predigt. Es waren einfache Worte, aber sie trafen ins Herz. Am Ende legte Paul die Hand auf den Korb und sagte, dass er weitergetragen werde, nicht von einem, sondern von vielen.

Nach der Beerdigung gingen sie gemeinsam zum Garten. Dort stellten sie den Korb unter den großen Baum, an dem Heinrich so oft gesessen hatte. Die Kinder legten neue Zettel hinein, diesmal mit Worten statt nur mit Bildern. „Danke, Heinrich“ stand auf einem. „Wir vergessen dich nicht“ auf einem anderen.

Der Abend senkte sich über Ebern, und der Garten war erfüllt vom Rascheln der Blätter. Paul blieb zurück, als die anderen nach Hause gingen. Er saß lange auf der Bank, den Korb an seiner Seite. In seinem Inneren wuchs eine Verantwortung, die schwer war und zugleich trug.

Als die Glocken der Kirche die Stunde schlugen, erhob er sich. Er nahm den Korb in die Hände, spürte sein Gewicht, das mehr war als nur Holz und Äpfel. Und er wusste, dass dies erst der Anfang war.

Denn der Korb gehörte nicht mehr Heinrich, nicht mehr allein der Erinnerung. Er gehörte nun allen, die verstanden hatten, was er bedeutete. Und Paul schwor sich in jener Stunde, dass er niemals zulassen würde, dass dieses Vermächtnis in Vergessenheit geriet.

Der Wind wehte stärker, die Blätter tanzten, und über dem Garten lag eine Stille, die nicht leer war, sondern voller Erwartung.

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