Der Hund auf dem Balkon | Er war einsam, alt und unbeweglich bis ein namenloser Hund alles veränderte

🐾 Teil 6: Der nächtliche Schatten

Es war kurz nach Mitternacht, als Frido zur Tür ging.
Ohne Laut.
Nur mit gespitzten Ohren und vorsichtigen Pfoten.

Erwins Atem war ruhig. Der alte Mann schlief tief, sein Kopf leicht zur Seite gesunken, die Decke bis zur Brust gezogen.

Frido stand vor der Wohnungstür.
Er schnüffelte.
Ein Geräusch?
Ein Geruch?

Dann begann er leise zu winseln.
Nur ein Hauch. Fast wie ein Flüstern.

Ein paar Sekunden vergingen. Dann setzte er sich hin. Starrte die Tür an, als würde er sie mit Gedanken öffnen wollen.

Nichts geschah.
Kein Klopfen.
Keine Stimme.

Und doch spürte Frido: Draußen war jemand.

**

Am nächsten Morgen war alles wie immer.
Erwin wachte auf, streckte sich leicht, lächelte, als Frido zu ihm kam und den Kopf auf die Bettdecke legte.

„Na, mein Freund. Guten Morgen.“

Frido wedelte mit dem Schwanz.
Aber etwas war anders.
Ein Rest Anspannung lag in seinem Blick.

Erwin bemerkte es nicht sofort. Erst als Frido beim Spaziergang auf dem Balkon plötzlich knurrte.
Nicht laut.
Aber deutlich.

Erwin folgte seinem Blick.

Im Innenhof stand ein Mann.
Schwarze Jacke, eine Zigarette in der Hand.
Unbekannt.

Erwin beobachtete ihn. Der Mann stand nur da, sah sich um, zog an der Zigarette. Dann verschwand er durch das Gartentor.

**

Am Nachmittag erzählte Erwin Jasmin davon.
Sie runzelte die Stirn.

„Vielleicht nur ein Besucher. Oder jemand vom Nachbarhaus.“

„Frido mochte ihn nicht“, sagte Erwin leise.

Jasmin überlegte kurz.
Dann sagte sie:
„Wenn du willst, frag ich mal bei der Hausverwaltung nach, ob in letzter Zeit irgendwas war.“

Erwin nickte.
Es war kein Gefühl der Angst.
Nur Unruhe.

**

In der Nacht schlief Erwin unruhig.
Er drehte sich oft, murmelte etwas im Traum.

Frido blieb wach.
Er lag nicht in seinem Körbchen, sondern direkt vor der Tür.
Wachsam.
Still.

Um halb drei schlug er plötzlich an.
Ein tiefes, kehliges Bellen, das Erwin aus dem Schlaf riss.

„Was ist los?“

Er versuchte sich aufzurichten, aber Frido war schneller.
Er stand, die Ohren aufgestellt, das Fell gesträubt.

Erwin lauschte.
Dann hörte er es auch.

Ein Kratzen.
Ganz leise.
An der Haustür.

Erwin fröstelte.
Das Geräusch hörte auf.
Dann Stille.

Frido blieb noch lange wach.

**

Am nächsten Tag kam Sami vorbei.

Er hatte von Jasmin gehört, dass etwas nicht stimmte.
Erwin erzählte von der Nacht, vom Kratzen, vom Mann im Hof.

Sami runzelte die Stirn.
„Willst du, dass ich eine Kamera installiere? Eine kleine, über der Tür. Ich hab noch eine. Bewegungssensor. Dann wissen wir, ob da wirklich jemand war.“

Erwin zögerte kurz, dann nickte.

Am Abend hing eine kleine schwarze Kamera über dem Türrahmen.
Unauffällig.
Still.
Wachsam, wie Frido.

**

In der dritten Nacht war es wieder da.
Das Kratzen.

Diesmal war es deutlicher.
Aggressiver.
Einmal. Zweimal. Dann Stille.

Frido bellte erneut.
Erwin schreckte hoch, griff nach dem Lichtschalter.

Die Kamera blinkte kurz.
Sie hatte etwas aufgenommen.

Am Morgen kam Sami mit dem Laptop.
Sie sahen sich das Video an.

Ein Mann.
Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Dünn, hager, schnelle Bewegungen.

Er tastete an der Tür.
Dann sah er sich um, verschwand im Dunkel.

Erwin sagte nichts.
Aber seine Hände zitterten.

**

Jasmin bestand darauf, dass er über Nacht nicht mehr allein blieb.

„Ich bleibe hier. Und Leon schläft bei meiner Mutter“, sagte sie.
„Das ist keine Bitte.“

Erwin widersprach nicht.

In dieser Nacht schlief er besser.
Frido lag zwischen Sofa und Tür.
Jasmin auf der alten Klappmatratze.

Keiner sagte es laut, aber alle wussten: Etwas stimmte nicht.

**

Am nächsten Tag rief Jasmin bei der Polizei an.
Nicht mit Panik.
Nur mit einem Gefühl.

„Ein fremder Mann. Zwei Nächte. Kratzspuren. Alte Leute im Haus. Vielleicht nur Zufall. Aber vielleicht auch nicht.“

Der Beamte hörte zu.
Er versprach, eine Streife vorbeizuschicken. Nur zur Sicherheit.

Am Abend tauchte sie auf.
Zwei Polizisten, jung, höflich, aber wachsam.

Sie gingen durch den Hof.
Dann durch den Keller.

Und fanden Spuren.

Ein aufgebrochenes Kellerfenster.
Leere Bierflaschen.
Zigarettenstummel.

„Da war jemand. Und nicht nur kurz“, sagte der eine.

Erwin fühlte eine Kälte in der Brust.

**

Am nächsten Morgen war das Kellerfenster mit Brettern vernagelt.

Die Polizei versprach, regelmäßig vorbeizufahren.
Aber die Nachbarn beschlossen, selbst aufzupassen.

Ein Rentner aus dem Erdgeschoss installierte eine Außenleuchte mit Bewegungsmelder.
Jasmin ließ alle Türschlösser prüfen.
Sami brachte noch zwei Kameras an.

Und Frido?
Der blieb, wie er war.
Wach. Ruhig.
Und wenn nötig, laut.

**

Ein paar Tage später stand Leon plötzlich in der Tür.
In der Hand hielt er eine Schachtel.

„Für Frido“, sagte er.
„Ein Superheld braucht eine Marke.“

Er öffnete die Schachtel.
Darin: ein kleines Brustgeschirr mit einem Aufnäher.

Darauf stand:
„Frido – Wachhund & Freund“

Erwin lachte leise.
Dann streichelte Frido über den Kopf.

„Du hast uns beschützt, mein Junge.“

**

In der folgenden Nacht blieb es still.

Kein Kratzen.
Kein Schatten.
Nur Mondlicht über dem Balkon.

Und Frido, der endlich wieder ruhig in seinem Körbchen schlief.

**

Aber am Morgen lag etwas vor der Tür, ein zerknitterter Zettel mit nur drei Wörtern.

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