🐾 Teil 7: Die drei Wörter
Erwin starrte auf den Zettel.
Die Tinte war verwischt, der Rand feucht vom Morgentau.
Aber die drei Wörter waren deutlich zu lesen.
„Er gehört mir.“
Keine Unterschrift. Kein Absender. Nur diese drei Worte, schräg und hastig geschrieben.
Erwin spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.
Er griff nach dem Zettel, faltete ihn vorsichtig, als hätte er Angst, er könnte zerfallen.
Dann legte er ihn auf den Tisch und rief Jasmin.
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Zehn Minuten später stand sie in der Küche.
Mit verschränkten Armen, Stirn in Falten.
„Das ist eine Drohung“, sagte sie leise.
„Oder zumindest so gemeint.“
Erwin nickte.
Frido saß neben dem Stuhl, die Ohren gespitzt, die Muskeln gespannt.
Er hatte irgendetwas gespürt, lange bevor der Zettel entdeckt wurde.
„Ich sag Sami Bescheid“, sagte Jasmin.
„Und der Polizei.“
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Sami kam am frühen Nachmittag.
Er fotografierte den Zettel, suchte nach Spuren, roch sogar daran, wie ein junger Detektiv mit zu viel Krimi-Erfahrung.
„Der Typ war wieder hier. Ganz sicher. Vielleicht will er Frido zurück. Oder er kennt ihn.“
Erwin schwieg.
Irgendetwas an dem Satz ließ ihn nicht los.
„Er gehört mir.“
War es wörtlich gemeint?
Ein Anspruch?
Oder nur Wut?
Er sah zu Frido.
Der Hund erwiderte den Blick.
Ruhig. Klar. Ohne Angst.
„Ich geb dich nicht her“, murmelte Erwin.
„Niemals.“
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Am Abend kam die Polizei.
Diesmal mit ernsterem Ton.
„Wir haben den Zettel analysiert“, sagte die Beamtin.
„Leider keine verwertbaren Fingerabdrücke. Aber wir nehmen es ernst.“
Sie nahm den Vorfall auf, versprach, die Streifen zu verdichten.
Aber sie machte auch klar: Ohne Beweis, keine Tat.
„Passen Sie gut auf sich auf, Herr Möller. Und auf den Hund.“
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In der nächsten Nacht schlief Erwin kaum.
Er lag wach, lauschte.
Jedes Knacken im Holz, jedes Geräusch vom Hof ließ ihn zusammenzucken.
Frido blieb an seiner Seite.
Nicht vor der Tür.
Sondern direkt neben dem Bett.
Am frühen Morgen schlief Erwin endlich ein.
Als er aufwachte, war es schon hell.
Frido schnupperte gerade an der Balkontür.
„Was ist los?“, fragte Erwin leise.
Der Hund kratzte am Glas.
Erwin rollte näher.
Draußen auf dem Balkon lag… ein Knochen.
Nicht alt.
Nicht zufällig.
Sauber platziert, genau in der Mitte der Fliesen.
Erwin schloss die Augen.
Jemand spielte ein Spiel.
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Sami holte den Knochen mit Handschuhen.
„Kein Tier bringt sowas so akkurat da hin“, murmelte er.
„Das war jemand mit Absicht.“
„Will uns jemand Angst machen?“, fragte Jasmin.
Sami nickte nur.
„Aber warum?“, flüsterte Erwin.
„Was hat das mit Frido zu tun?“
**
Am selben Tag meldete sich Lisa, die alte Besitzerin von Rico.
Sie hatte einen klaren Moment im Heim und fragte nach dem Hund.
„Ich träume jede Nacht von ihm“, sagte sie mit brüchiger Stimme.
„Aber er sieht anders aus. Größer. Stärker.“
Erwin fragte vorsichtig:
„Gab es jemanden, der ihm etwas antun wollte?“
Lange Pause.
Dann ein leises:
„Mein Sohn. Rüdiger. Er mochte den Hund nicht. Sagte, er sei wertlos. Als Rico weggelaufen ist, hat er gelacht. Danach kam er nie wieder.“
Erwin spürte ein Kälte in der Brust.
„Wie sieht er aus?“, fragte er.
Lisa antwortete:
„Groß. Dünn. Kapuze. Meistens eine Zigarette in der Hand.“
Erwin erinnerte sich.
An den Mann im Hof.
An die Zigarette.
Er wusste plötzlich:
Rico war Frido.
Und Rüdiger war zurück.
**
Am Abend holte Sami eine alte Überwachungskameraaufnahme hervor.
Zoomte das Gesicht heran.
Unscharf, aber erkennbar.
Er druckte es aus.
Erwin zeigte es Lisa am nächsten Tag über Videochat.
„Ja“, flüsterte sie.
„Das ist er.“
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Die Polizei bekam die Information.
Sami übergab alles.
Aber noch fehlte der endgültige Beweis.
Also beschlossen sie zu handeln.
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Eine Falle.
Sie richteten die Kamera schärfer aus.
Stellten Fridos Napf auf den Balkon.
Ein Stück Fleisch, sichtbar, verlockend.
Und einen Sender darin.
Erwin zögerte erst, wollte Frido nicht als Lockmittel.
Aber dann legte Frido sich von selbst daneben.
Als wüsste er: Das ist sein Teil.
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In der Nacht geschah es.
Ein Schatten.
Ein Arm.
Ein Griff nach dem Napf.
Die Kamera zeichnete jedes Bild auf.
Am Morgen war der Napf weg.
Aber der Sender sendete.
Die Polizei kam noch vor dem Frühstück.
Fuhr der Spur nach.
Und fand ihn.
Rüdiger Hennemann.
Auf einem verlassenen Grundstück.
Mit dem Napf.
Und einem Notizbuch voller Zeichnungen. Frido war überall darin.
Er hatte den Hund beobachtet.
Wochenlang.
Still.
Im Schatten.
**
Sie nahmen ihn mit.
Er war verwirrt, aggressiv, unberechenbar.
Lisa weinte, als sie davon erfuhr.
„Ich wusste, er kommt irgendwann zurück“, sagte sie.
„Aber nicht wegen mir. Wegen Rico.“
Erwin streichelte Frido.
„Er wird dich nie wieder finden“, flüsterte er.
Frido seufzte.
Dann schlief er ein.
**
Das Viertel erfuhr von der Geschichte.
Nicht aus der Zeitung.
Von Mund zu Mund.
Und plötzlich war da etwas Neues: Stolz.
Stolz auf Frido.
Auf Erwin.
Auf das kleine Haus mit dem großen Herz.
**
Ein paar Tage später brachte Leon einen neuen Zettel vorbei.
Diesmal nur zwei Wörter.
„Alles gut.“
**
Doch inmitten der Erleichterung kam ein Anruf, mit einer Stimme, die Erwin lange nicht gehört hatte.