🐾 Teil 7: Sie kam zurück, ohne zu wissen, ob sie willkommen war und fand mehr, als sie verloren hatte
Der Morgen danach war stiller als sonst.
Nicht, weil niemand sprach, sondern weil jeder in sich lauschte.
Lena schlief auf dem Sofa.
Karl hatte ihr ein Kissen gebracht, eine dicke Wolldecke und einen Zettel mit nur drei Worten:
„Bleib, solange du willst.“
Er hatte ihn auf dem Küchentisch liegen lassen.
Als er früh aufstand, war der Zettel verschwunden.
Aber die Decke lag ordentlich gefaltet auf dem Stuhl.
Und der Fuchs stand auf dem Fensterbrett.
Genau dort, wo Karl ihn jeden Abend angeschaut hatte.
Nora lag im Flur.
Sie hatte die ganze Nacht vor dem Sofa gewacht, die Nase zum Rand hin ausgestreckt, als wollte sie prüfen, ob das Herz, das dort lag, auch wirklich schlug.
Als Karl den Raum betrat, hob sie den Kopf.
Keine Frage in ihrem Blick.
Keine Unsicherheit.
Nur Gewissheit.
Sie wusste, dass Lena bleiben würde.
Auch wenn es noch nicht ausgesprochen war.
Als Lena aufwachte, stand der Tee schon auf dem Tisch.
Karl saß da, ein paar Brotscheiben neben sich, und schrieb in sein Notizbuch.
Lena trat vorsichtig näher.
Sie setzte sich, legte die Hände in den Schoß.
Dann flüsterte sie:
„Ich war in sechs Familien.“
Karl hob den Blick.
„Die letzte war gut. Aber es war nicht richtig.“
Sie sah zu Nora.
„Ich hab sie nachts gehört. Oder dachte ich zumindest. Und irgendwann wusste ich: ich muss zurück.“
Sie machte eine Pause.
„Nicht, weil ich sie brauche. Sondern weil sie mich braucht.“
Karl legte den Stift weg.
Und sprach leise:
„Ihr habt beide gewartet.“
Emma kam gegen Mittag.
Sie hatte ein altes Brettspiel dabei und einen Korb voller Brötchen.
Als sie Lena sah, lächelte sie nur.
Keine Frage. Kein Staunen.
Nur ein schlichtes:
„Hi.“
Lena antwortete ebenso ruhig:
„Hi.“
Dann saßen sie zu viert am Tisch.
Zwei Mädchen, ein alter Mann und ein stummer Hund.
Und nichts fehlte.
Am Abend spielte Karl ein neues Lied.
Eines, das er in den letzten Tagen im Kopf gehabt hatte.
Die Töne waren weich, langsam, mit einem Hauch von Wehmut.
Emma summte die Melodie mit.
Lena saß still, aber ihre Finger trommelten sachte auf die Sessellehne.
Nora lag dazwischen, mit geschlossenen Augen.
Sie war nicht eingeschlafen.
Sie lauschte.
Wie immer.
Nach dem Essen zog Lena ein kleines Buch aus ihrem Rucksack.
Ein altes Tagebuch.
Verblasstes Cover, Eselsohren, ein Band als Lesezeichen.
„Ich hab’s damals geschrieben, als ich hier war. Nicht viel. Nur ein paar Seiten.“
Sie schlug es auf.
Blätterte.
Dann las sie:
„Nora hat heute gebellt. Ich glaube, sie wollte mir sagen, dass sie mich mag. Ich hab ihr versprochen, dass ich nie weggehe. Aber ich bin doch gegangen.“
Stille.
Karl legte seine Hand auf den Tisch, Handfläche offen.
Lena berührte sie kurz mit den Fingern.
Dann schloss sie das Buch.
„Vielleicht kann ich bleiben. Nicht für immer. Aber für eine Weile.“
Karl nickte.
Mehr war nicht nötig.
Am nächsten Tag meldete sich das Tierheim.
Eine Frau namens Frau Wenzel.
Freundlich, ruhig, ein wenig besorgt.
„Wir haben gehört, dass Nora… sagen wir… Besucher hatte.“
Karl sprach selbst am Telefon.
Nicht lang, aber deutlich.
„Ja. Sie bleibt hier.“
Frau Wenzel schwieg einen Moment.
Dann sagte sie:
„Gut. Ich wollte nur wissen, ob sie angekommen ist.“
Und dann:
„Grüßen Sie sie von mir. Sie war besonders. Schon immer.“
Karl legte auf.
Berührt.
Und irgendwie erleichtert.
Lena begann, jeden Tag kleine Spaziergänge mit Nora zu machen.
Allein, am Waldrand.
Sie redete nicht viel dabei.
Aber ihre Schritte waren gleichmäßig.
Und Nora lief dicht bei ihr, ohne Leine, ohne Befehl.
Karl beobachtete sie vom Fenster aus.
Zwei Schatten im Licht.
So vertraut, dass es beinahe weh tat.
Am Freitagabend klopfte es an der Tür.
Ein junger Mann stand da, vielleicht zwanzig.
Schüchtern, mit einem Umschlag in der Hand.
„Ich bin Tim. Ich war damals auch im Heim. Ich hab gehört, dass Nora noch lebt. Und dass… dass sie zurück ist.“
Karl bat ihn hinein.
Lena saß im Wohnzimmer, als er eintrat.
Sie sah ihn an.
Erst zögerlich.
Dann kam sie langsam auf ihn zu.
„Tim?“
Er nickte.
„Ich dachte, du bist weggezogen.“
„Bin ich. Aber ich hab dich nicht vergessen.“
Sie setzten sich.
Nora legte sich dazwischen.
Nicht als Grenze.
Sondern als Brücke.
Der Umschlag enthielt Fotos.
Kinderbilder.
Ein Sommerfest.
Ein Gruppenfoto mit Lenas Lächeln und Noras Schnauze dazwischen.
Karl betrachtete die Bilder lange.
Und dann sagte er:
„Ihr wart Familie.“
Lena nickte.
Tim auch.
Und Karl wusste:
Diese Geschichte gehörte ihnen.
Aber Nora hatte sie zusammengehalten.
In der Nacht bellte Nora erneut.
Nicht laut.
Nicht lang.
Aber diesmal klar.
Ein einziger Ton, tief und voll.
Karl wachte auf.
Lena stand bereits im Flur, den Fuchs im Arm.
Sie sagte nichts.
Aber sie weinte.
Leise.
Er trat zu ihr.
Und gemeinsam legten sie sich neben Nora auf den Boden.
Dort schliefen sie ein.
Dicht beieinander, ohne Worte.
Aber voller Antwort.