Der Hund im Zug | Er folgte einem alten Hund in den Wald – was er fand, rührte alle zu Tränen

Teil 4 – Der Brief ohne Datum

Walter nimmt den Umschlag mit beiden Händen.
Seine Finger zittern leicht – nicht nur vor Kälte.
Das Papier fühlt sich weich an, fast brüchig. Wie etwas, das zu lange geschwiegen hat.

Er setzt sich an den kleinen Tisch und reißt den Brief vorsichtig auf.
Keine Anrede, kein Datum. Nur diese erste Zeile:
„Wenn du das liest, bin ich vielleicht schon nicht mehr da.“

Er schluckt.
Die Worte sind schlicht, aber sie schneiden wie dünne Klingen.
Er hört ihre Stimme darin. Ruhig. Sanft. Und doch bestimmt.

„Ich hoffe, du hast den Hund gefunden. Oder besser gesagt – er hat dich gefunden.“
„Sein Name ist Moritz. Ich habe ihn aufgenommen, als du nicht mehr da warst. Er hat mich durch viele einsame Stunden getragen.“
„Wenn er dich zu dieser Hütte geführt hat, dann lebt in ihm noch etwas von mir.“
„Bitte kümmere dich um ihn, wenn du kannst. Vielleicht kann er auch dich zurückholen.“
„Zurück ins Leben.“

Walter lässt das Blatt sinken.
Sein Blick verschwimmt.
Nicht vor Trauer. Sondern vor etwas Tieferem.
Scham. Reue. Und ein Gefühl, das er kaum benennen kann.

Moritz – also hat er einen Namen.
Der Hund schaut zu ihm hoch, als hätte er jedes Wort gehört.
Walter flüstert: „Moritz… du warst bei ihr, als ich’s nicht war.“

Er steht auf, doch seine Knie geben nach.
Ein stechender Schmerz fährt durch seinen Bauch.
Schweiß bricht ihm aus, obwohl der Raum kalt ist.
Sein Herz rast, sein Kopf flimmert.

Er tastet nach seiner Tasche, sucht das Notfallbonbon, das er früher aus Gewohnheit immer dabeihatte.
Nichts.
Nur ein alter Taschenspiegel und das Foto seiner Frau.

Er taumelt, stützt sich am Tisch ab.
Moritz bellt plötzlich laut – ein raues, fast klagendes Geräusch.
Dann schiebt sich sein Körper unter Walter, stützt ihn, wie ein kleines Tier, das viel zu viel Verantwortung trägt.

Walter sackt langsam auf den Boden.
Er atmet flach. In seinem Ohr pocht es.
„Unterzuckerung“, denkt er. „Verdammt. Hätte ich doch…“

Doch da ist Moritz – bellt wieder, leckt seine Hand, stupst sein Gesicht.
Ein letztes Bild flackert vor Walters Augen: Elisabeth, mit Moritz auf dem Schoß, lächelnd in der Abendsonne.

Dann wird alles weiß.

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