Teil 6 – Zwischen Praxis und Vergangenheit
Walter sitzt auf der Bank vor der Tierarztpraxis.
Die Sonne steht tief. Sein Atem geht schwer.
In der Hand: ein Faltblatt mit der Medikamentenliste für Moritz – zehn Positionen, drei davon auf Dauer.
Er zieht seine Brieftasche.
Ein paar Scheine. Die Rente kommt erst in zwei Wochen.
Und das neue Blutzuckermessgerät, das ihm die Ärztin im Krankenhaus empfohlen hat, hat er auch noch nicht besorgt.
Drinnen liegt Moritz in einem Käfig mit Wärmelampe.
Ein Tropf in der Pfote. Er hat die Augen geschlossen, aber das schiefe Ohr zuckt bei jedem Geräusch.
Walter streicht ihm durch das Gitter übers Fell.
„Ich lass dich nicht allein, Bub. Du bist alles, was mir bleibt.“
Am nächsten Morgen steht er früh auf – seine Knie protestieren, seine Finger sind steif.
Er geht zum alten Bahnhof und klopft an die Tür des Fahrdienstleiters.
„Gibt’s was zu tun? Ich kenn noch jede Weiche hier.“
Der junge Mann schaut ihn an wie ein Fossil. Dann lächelt er vorsichtig.
„Es gibt keine Weichen mehr. Nur noch Computer.“
Walter geht weiter – zur Apotheke.
Die Dame dort kennt ihn noch von früher.
„Herr Brehm… Sie sehen nicht gut aus.“
„Ich brauch was für mein Zucker. Und für den Hund auch was.“
Sie zeigt ihm die Preise.
Sein Blick bleibt an der Summe hängen. Sie beißt sich auf die Lippe.
„Warten Sie mal. Ich schau, was ich tun kann.“
Zuhause – das heißt jetzt: die Hütte.
Walter hat sie notdürftig gereinigt. Den Ofen geflickt.
Auf dem Tisch liegt die Spritzpackung, daneben ein Zettel mit Dosierungsplan.
Er trägt jetzt eine Armbanduhr mit Alarmfunktion.
Wenn sie piept, isst er. Egal ob er Hunger hat oder nicht.
Am Nachmittag ruft die Tierärztin an.
„Sie können Moritz morgen holen. Aber er braucht regelmäßige Tabletten und eine Spezialdiät.“
Walter nickt, obwohl sie ihn nicht sehen kann.
„Ich komm. Pünktlich. Wie immer bei der Bahn.“
Er holt die alte Taschenuhr aus dem Regal.
Noch immer stehen geblieben auf 18:32 Uhr.
Er öffnet sie, nimmt die kleine Fotografie von Elisabeth heraus.
„Ich hab’s versaut, Liebling. Aber diesmal bleib ich bis zum Schluss.“
Lies weiter in Teil 7 – Die Nacht mit dem Piepen