Der Hund und die alte Geige im Park | Als ein Hund sie zu einer alten Geige führte, öffnete sich ihr Herz erneut

🐾 Teil 4: Spuren im Regen

Der Regen fiel den ganzen Tag, fein und gleichmäßig, als wollte er die Welt auswaschen.
Hedda stand am Fenster ihrer kleinen Wohnung in der Wenkenstraße und beobachtete, wie Tropfen an der Scheibe ineinanderliefen.
Orfeo lag auf dem Teppich, den Kopf auf den Pfoten, die Augen wach, auch wenn er reglos wirkte.

Die Geige stand offen auf dem Tisch.
Hedda hatte sie gereinigt, so gut es ging, und ein Tuch untergelegt, damit das Holz nicht weiter Schaden nahm.
Der Zettel mit der alten Botschaft lag daneben, und jedes Mal, wenn ihr Blick ihn streifte, zog es ihr die Kehle zu.

Für Hedda.
Eines Tages wirst du wissen, warum.
B.

Diese Worte hatten die Nacht in ihr verändert.
Sie dachte zurück an den letzten Abend, den sie mit Benedikt verbracht hatte.
Das Licht im Probenraum, der Geruch von Harz und altem Holz, seine Stimme, die mehr versprochen hatte, als sie verstehen konnte.

Der Regen ließ nach, und Hedda beschloss, hinauszugehen.
Sie nahm den Kasten, schloss ihn sorgfältig, und rief Orfeo zu sich.
Der Hund sprang sofort auf, schüttelte sich und lief dicht an ihrer Seite.

Im Park war es stiller als sonst.
Die Bänke glänzten nass, und das Gradierwerk dampfte im grauen Himmel.
Eckard Bönning war nicht zu sehen, nur das Rauschen des Wassers und das Tropfen der Äste füllten die Luft.

Hedda setzte sich auf die Bank, die alles begonnen hatte.
Orfeo legte sich neben sie, den Kopf erhoben, die Ohren wachsam.
Sie stellte den Kasten auf ihre Knie, strich über den Deckel und atmete tief ein.

Da hörte sie Schritte.
Langsam, schwer, ein Mann ging den Weg entlang, ein Schirm in der Hand, den er gar nicht geöffnet hatte.
Als er näher kam, sah sie ein Gesicht, das von Falten gezeichnet war, die Augen jedoch klar und wach.

Er blieb stehen, sah erst auf den Hund, dann auf den Kasten.
Sie haben sie gefunden, sagte er leise, fast ehrfürchtig.
Seine Stimme klang, als habe er lange geschwiegen.

Hedda blickte ihn an.
Wer sind Sie, fragte sie.
Der Mann stellte den Schirm ab, setzte sich vorsichtig auf die andere Seite der Bank.

Mein Name ist Karl-Heinz Brenner, sagte er.
Ich war einmal ein Schüler von Benedikt Wechsler.

Die Luft schien für einen Moment stillzustehen.
Hedda legte die Hand fester auf den Kasten.
Orfeo erhob sich und stellte sich zwischen sie und den Fremden, ohne zu knurren, nur mit gespannter Aufmerksamkeit.

Brenner sah den Hund an, dann wieder sie.
Ich habe hier nach ihr gesucht, Tag für Tag, seit ich hörte, dass man sie gesehen hat.
Sie gehört nicht mir, aber sie ist auch nicht verloren.

Hedda schwieg, denn Worte wollten nicht kommen.
Sie spürte, wie ihre Finger zu zittern begannen.
Sie fragte leise: Was ist damals geschehen.

Der Mann atmete tief.
Benedikt ging nach Wien, das wissen Sie.
Aber er kam nicht zurück, weil er krank wurde.
Er spielte noch eine Weile, dann verlor er die Kraft.

Hedda sah den Boden.
Der Regen sammelte sich in kleinen Pfützen, spiegelte das graue Licht.
Sie wollte etwas sagen, doch Brenner sprach weiter.

Vor seinem Ende gab er mir die Geige.
Er sagte, sie gehöre einer Frau, die er nie vergessen konnte.
Aber ich war zu jung, zu feige vielleicht.
Ich behielt sie, versteckte sie, und verlor am Ende selbst die Kraft, sie zu tragen.

Er hob die Hände, als wolle er sich entschuldigen.
Dann, vor einigen Wochen, brachte ich sie hierher.
Ich dachte, wenn sie jemand finden sollte, dann die Richtige.
Und jetzt sitzt sie vor mir.

Hedda spürte, wie ihr Herz laut schlug.
Die Worte trafen sie tiefer, als sie gedacht hätte.
Es war, als ob die Jahre in sich zusammenfielen, und die Stimme von Benedikt wieder in ihrem Ohr erklang.

Sie öffnete den Kasten.
Der Mann beugte sich vor, berührte das Holz nicht, sondern sah nur hinein.
Seine Augen glänzten, als ob auch er längst nicht mehr damit gerechnet hatte.

Hedda flüsterte: Er hat mir geschrieben.
Sie legte den Zettel auf die Geige.
Brenner nickte, als wüsste er, dass es so sein musste.

Orfeo bellte einmal, kurz, hell, als wollte er das Schweigen zerreißen.
Hedda legte die Hand auf sein Fell, spürte die Kraft unter der Haut.
Sie wusste, dass der Hund nicht zufällig hier war.

Brenner stand auf.
Bewahren Sie sie, sagte er.
Und vielleicht finden Sie die Melodie, die er in Ihr Herz gelegt hat.

Er ging langsam davon, ließ den Schirm stehen, als Erinnerung an sein Erscheinen.
Hedda blieb auf der Bank zurück, den Hund an ihrer Seite, die Geige in ihrem Schoß.
Der Regen setzte wieder ein, und die Tropfen klangen wie ein fernes Orchester.

In diesem Moment wusste sie, dass ihre Hände wieder spielen würden.
Doch sie ahnte auch, dass jede Melodie ihr nicht nur Trost, sondern auch Schmerz bringen würde.

Und irgendwo tief in ihr wuchs die Frage, ob Benedikts Geschichte wirklich so zu Ende erzählt war.

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