Der Hund und die alte Geige im Park | Als ein Hund sie zu einer alten Geige führte, öffnete sich ihr Herz erneut

🐾 Teil 5: Erste Töne

Der Schirm stand noch immer an der Bank, als Hedda am nächsten Tag zurückkehrte.
Sie nahm ihn mit, als wäre er ein Schlüssel, den man ihr heimlich in die Hand gelegt hatte.
Orfeo lief neben ihr, sein Fell noch feucht vom Morgentau.

Zuhause stellte sie den Kasten wieder auf den Küchentisch.
Die Geige lag darin, stumm, aber nicht leblos.
Hedda spürte, wie ihre Finger kribbelten, als rufe etwas in ihr nach Berührung.

Sie öffnete die Schublade, in der noch ihr altes Kolophonium lag.
Das Harz war spröde geworden, aber es roch noch nach den Bühnen von damals.
Sie strich vorsichtig den Bogen darüber, der schon lange keinen Ton mehr gesehen hatte.

Orfeo setzte sich in die Türöffnung und beobachtete jede Bewegung.
Sein Blick war ruhig, doch voller Erwartung, als wüsste er, was geschehen würde.
Hedda nahm die Geige, legte sie an ihre Schulter und atmete tief ein.

Die ersten Töne waren roh, schief, fast schmerzhaft.
Die Saiten schrien auf, als wollten sie sich wehren gegen die Jahre des Schweigens.
Doch dann, nach einigen Versuchen, schwang ein leiser Klang durch die Küche, dünn, aber lebendig.

Hedda schloss die Augen.
Die Erinnerung an alte Probenhallen und Bühnenlichter flackerte auf.
Sie hörte Benedikts Stimme, die sie einst ermutigt hatte, und ihr Herz wurde schwer.

Sie spielte eine einfache Tonleiter, stockend, unsauber.
Doch in jedem Ton lag ein Funken von dem, was sie einst war.
Orfeo legte den Kopf schief, dann ließ er sich nieder und schloss die Augen.

Es war, als lauschte er einer Geschichte, die nur für ihn bestimmt war.
Hedda spielte weiter, so lange, bis die Finger wieder den alten Schmerz spürten.
Sie legte die Geige zurück in den Kasten, den Kopf voller Erinnerungen.

Am Abend kam eine Nachbarin vorbei.
Frau Esken aus dem ersten Stock, eine Witwe mit strengem Haar und wachen Augen.
Sie blieb an der Tür stehen und sagte: Ich habe Musik gehört.

Hedda nickte, wusste aber nicht, was sie antworten sollte.
Frau Esken sah auf Orfeo, der neugierig schnupperte.
Ein schöner Hund, sagte sie leise. Hat er schon einen Namen.

Orfeo, antwortete Hedda.
Die Nachbarin nickte, als würde sie den Klang des Namens prüfen.
Dann lächelte sie und ging wieder, ohne ein weiteres Wort.

Als die Nacht hereinbrach, konnte Hedda nicht schlafen.
Die Geige lag neben ihrem Bett, und jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie Benedikts Gesicht vor sich.
Seine Hände, die das Instrument hielten, sein Blick, der immer mehr sagte, als Worte es konnten.

Am nächsten Morgen nahm sie Orfeo mit auf einen Spaziergang durch die Altstadt.
Die Häuser standen dicht beieinander, die Fenster voller Blumen, und die Straßen rochen nach frischem Brot.
Sie hielt an einem kleinen Musikladen, dessen Schaufenster alte Notenblätter zeigte.

Der Besitzer, ein Mann mit grauem Bart und runden Brillengläsern, kam heraus, als er die Geige in ihrem Arm sah.
Ein schönes Stück, sagte er sofort, auch wenn es alt ist.
Hedda nickte und fragte: Können Sie ihr neues Leben schenken.

Er nahm die Geige vorsichtig, prüfte die Wirbel, strich mit den Fingern über das Holz.
Es braucht Geduld, sagte er. Aber ja, man kann sie wieder zum Klingen bringen.
Sein Blick war ernst, fast ehrfürchtig, als hätte er die Geschichte des Instruments gespürt.

Hedda ließ die Geige in seiner Obhut.
Als sie den Laden verließ, fühlte sie sich gleichzeitig leichter und verletzlicher.
Orfeo lief dicht neben ihr, als wüsste er, dass nun eine Zeit des Wartens begann.

Die Tage vergingen langsamer.
Hedda saß oft am Fenster, sah den Regen und die vorbeigehenden Menschen, hörte das ferne Rauschen des Gradierwerks.
Sie spürte, dass ihr Leben sich veränderte, auch wenn sie es noch nicht greifen konnte.

Eine Woche später holte sie die Geige zurück.
Der Mann übergab sie ihr mit einem Nicken.
Die Saiten glänzten, das Holz atmete wieder, und der Klang, den sie anspielte, war heller, reiner.

In dieser Nacht spielte sie lange.
Orfeo lag neben ihr, die Augen halb geschlossen, als träumte er mit offenen Ohren.
Die Musik füllte die Räume, und Hedda fühlte, wie eine alte Leere sich langsam mit Wärme füllte.

Doch mitten in einem Stück hörte sie plötzlich Geräusche von draußen.
Schritte im Hof, schwer und zielstrebig.
Sie legte die Geige ab, das Herz raste.

Orfeo sprang auf, lief zur Tür und bellte tief.
Hedda trat ans Fenster, doch sie konnte nur den Schatten eines Mannes erkennen, der sich hastig entfernte.

Sie fröstelte.
Die Geige war wieder lebendig, doch jemand dort draußen wusste es auch.

Und sie ahnte, dass die Vergangenheit sie nicht in Ruhe lassen würde.

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