Der Hund und die alte Geige im Park | Als ein Hund sie zu einer alten Geige führte, öffnete sich ihr Herz erneut

🐾 Teil 7: Der Besucher im Park

Am nächsten Morgen stand Nebel über Bad Salzuflen.
Die Straßen wirkten wie von Watte umhüllt, selbst die vertrauten Häuser schienen fremd.
Hedda band sich den Schal enger um den Hals, nahm Orfeo an die Seite und ging hinaus.

Die Geige ließ sie in der Wohnung.
Zu groß war die Angst, sie könnte verloren gehen, zu groß auch das Gefühl, dass jemand ihr nachstellte.
Doch der Brief Benedikts, den trug sie bei sich, sorgfältig gefaltet in der Innentasche.

Im Kurpark war es stiller als sonst.
Das Gradierwerk tropfte, das Salz lag schwer in der Luft.
Auf der Bank, wo sie den Kasten einst gefunden hatte, saß bereits jemand.

Ein Mann mittleren Alters, dunkel gekleidet, mit einem Gesicht, das vom Leben gezeichnet war.
Seine Hände lagen auf den Knien, und er starrte auf den Boden.
Als Hedda näherkam, hob er den Kopf.

Sie erschrak.
Sein Blick war bohrend, fest, als wüsste er etwas, das sie nicht wissen sollte.
Orfeo stellte sich sofort vor sie, die Muskeln angespannt, der Körper wie ein Schutzschild.

Der Mann sprach mit ruhiger Stimme.
Sie haben sie, nicht wahr.
Es war keine Frage, eher eine Feststellung.

Hedda schwieg.
Sie wollte weder lügen noch die Wahrheit verraten.
Doch ihr Schweigen genügte.

Der Mann nickte langsam.
Ich habe lange auf diesen Moment gewartet, sagte er.
Benedikt war mehr als ein Musiker. Er war ein Freund, aber auch ein Geheimnis.

Seine Stimme klang ernst, beinahe drohend.
Hedda spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.
Sie fragte leise: Wer sind Sie.

Der Mann stellte sich vor.
Mein Name ist Johannes Riedel. Ich habe mit Benedikt in Wien gespielt, bis zuletzt.
Er ließ die Worte einen Moment in der Luft hängen.

Hedda suchte nach Spuren von Wahrheit in seinem Gesicht.
Riedel wirkte müde, aber entschlossen.
Er erzählte: Benedikt hat die Geige dir zugedacht, das stimmt. Aber er wusste nicht, wie gefährlich sie einmal sein würde.

Hedda verstand nicht.
Gefährlich, wiederholte sie. Es ist ein Instrument, nichts weiter.
Riedel schüttelte den Kopf.

Nicht diese Geige.
Er sah sich um, senkte dann die Stimme.
In ihr steckt mehr als Musik.

Hedda hielt den Atem an.
Sie dachte an den Zettel, an den Brief, an die seltsamen Nächte voller Geräusche.
War es möglich, dass Benedikt etwas verborgen hatte, das mehr bedeutete als Melodien.

Riedel beugte sich vor.
Ich weiß, dass Sie den Brief gefunden haben.
Bitte, lassen Sie mich ihn sehen.

Orfeo knurrte tief.
Hedda legte unwillkürlich die Hand auf die Innentasche ihres Mantels, wo der Brief lag.
Nein, sagte sie leise. Nicht hier, nicht so.

Der Mann sah sie lange an, dann stand er auf.
Seine Gestalt wirkte im Nebel größer, dunkler.
Er flüsterte: Sie werden noch verstehen, warum diese Geige nicht nur Ihnen gehört.

Dann ging er.
Seine Schritte verhallten, bis nur noch das Tropfen des Gradierwerks blieb.
Hedda setzte sich auf die Bank, spürte, wie ihre Knie weich wurden.

Orfeo drängte sich an sie, warm und still.
Sie vergrub die Hand in seinem Fell, als könnte sie darin Halt finden.
Ihre Gedanken rasten.

Wenn Riedel die Wahrheit sprach, dann barg die Geige ein Geheimnis, das sie noch nicht verstanden hatte.
Etwas, das Benedikt selbst nur angedeutet hatte.
Und jemand war bereit, dafür im Dunkeln zu schleichen.

Am Nachmittag kehrte sie heim.
Sie legte den Brief auf den Tisch, die Geige daneben.
Die Worte Benedikts klangen in ihr nach: Eines Tages wirst du wissen, warum.

Sie nahm den Bogen in die Hand, spielte eine Melodie, die sie einst zusammen mit Benedikt geübt hatte.
Die Töne erfüllten die Stille, doch diesmal hörte sie etwas Neues darin.
Zwischen den Noten lag eine Abfolge, die wie ein verschlüsseltes Muster wirkte.

Orfeo hob den Kopf, als hätte er es ebenfalls bemerkt.
Hedda spielte die Stelle erneut, langsamer.
Es war keine gewöhnliche Phrase, eher ein Rätsel, verborgen in Musik.

Die Geige sprach zu ihr, und plötzlich verstand sie, dass die Wahrheit nicht in den Worten lag, sondern in den Tönen selbst.
Vielleicht hatte Benedikt eine Botschaft hinterlassen, die nur über die Musik zu entschlüsseln war.

Die Nacht brach herein, und draußen rauschte der Wind.
Hedda legte die Geige zurück, doch sie wusste, dass sie nicht aufhören konnte.
Das Geheimnis lag in den Melodien, und sie würde es finden.

Doch tief in ihrem Inneren fürchtete sie, dass sie dabei nicht nur die Vergangenheit, sondern auch den Zorn der Lebenden aufwecken würde.

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