Der Hund und die alte Schulbank | Wie ein alter Lehrer, zwei Kinder und ein Hund ein verdrängtes Geheimnis ans Licht brachten

🐾 Teil 6: Die Entdeckung

Die Schritte im Flur kamen näher.
Ich hielt den Atem an, das Bündel noch in der Hand.
Baltho stellte sich vor mich, sein Fell gesträubt, die Muskeln gespannt wie Sehnen kurz vorm Reißen.

Die Tür zum Klassenraum öffnete sich langsam.
Im Licht des Mondes, das durch die hohen Fenster fiel, trat Jakob Brenner ein.
Sein Gesicht war bleich, der Blick voller Unruhe.

„Was tun Sie hier, Herr Kaden?“ fragte er.
Seine Stimme war leiser, als man es von einem Mann wie ihm erwarten würde.
Ich legte das Bündel auf die Bank.

„Ich habe gefunden, was Silvan hinterlassen hat.“
Ich öffnete den Stoff, zeigte das Heft und den Kreisel.
Jakob trat näher, sah hin, und ich bemerkte, wie seine Hände zu zittern begannen.

„Ich wusste, dass etwas hier verborgen war,“ flüsterte er.
„Aber ich hatte nicht den Mut, es selbst zu suchen.“
Seine Augen wurden glasig, als sehe er nicht den Raum, sondern eine Erinnerung.

„Warum sind Sie in dieser Nacht hergekommen?“ fragte ich.
Er schwieg lange. Dann setzte er sich schwer auf die Bank.
„Weil die Vergangenheit nicht mehr still bleibt. Ich habe es gespürt. Und weil ich Angst habe, dass Sie zu viel erfahren.“

Ich sah ihn scharf an.
„Hatten Sie etwas mit Silvans Verschwinden zu tun?“
Er hob die Hände, als müsse er die Worte abwehren.

„Nein,“ rief er. „Aber ich habe damals gehört, was ich nicht hätte hören sollen.“
Baltho knurrte wieder, als spüre er, dass die Wahrheit jetzt nur noch wenige Schritte entfernt war.

Jakob sah zu Boden.
„Es war spät am Abend. Ich hörte Stimmen im Flur. Silvan sprach mit jemandem, ich erkannte die Stimme nicht. Dann ein dumpfer Schlag, ein Schrei. Ich lief los, doch als ich in den Raum kam, war er leer.“

Mir schnürte es die Kehle zu.
„Und warum haben Sie nie etwas gesagt?“
„Weil ich niemandem mehr trauen konnte,“ flüsterte er. „Der Direktor schwieg, die Lehrer schauten weg. Und ich war der Hausmeister, der niemandem etwas bedeutete.“

Die Worte hingen in der kalten Luft.
Ich fühlte das Gewicht der Schuld, das nicht nur auf mir lastete, sondern auf einem ganzen Dorf.
Greta und Milan, dachte ich, sie würden alles erfahren müssen. Aber noch war es zu früh.

Jakob streckte die Hand nach dem Heft aus, doch Baltho stellte sich schützend davor.
„Er weiß, wem es gehört,“ sagte ich. „Und er entscheidet, wem er es gibt.“
Der Hund hielt den Blick starr auf Jakob gerichtet, bis dieser die Hand zurückzog.

„Es gibt jemanden, der mehr weiß,“ sagte Jakob schließlich.
„Wen meinen Sie?“
Er zögerte, dann flüsterte er: „Ralf Teschner.“

Mein Herz schlug schneller.
Der Bauer, der uns am Tag zuvor gewarnt hatte.
Sein Onkel, der Schulleiter, hatte geschwiegen. Und vielleicht schwieg auch er aus gutem Grund.

„Gehen Sie vorsichtig mit ihm um,“ warnte Jakob. „Er trägt den Stolz seiner Familie wie einen Schild. Und wer daran rührt, der weckt seinen Zorn.“

Wir verließen die Schule gemeinsam.
Draußen war die Nacht klar, die Sterne funkelten über den Bergen, doch die Dunkelheit zwischen den Bäumen wirkte wie ein Abgrund.
Ich ging nach Hause, das Bündel fest unter dem Arm.

In meinem Wohnzimmer breitete ich alles auf dem Tisch aus.
Das alte Heft, den Kreisel, den Brief.
Baltho legte sich davor, als wäre er der Hüter eines Archivs, das niemand zerstören durfte.

Ich begann zu lesen.
Eine Seite nach der anderen.
Und plötzlich stand dort ein Name, hastig geschrieben, als habe die Hand gezittert: „Teschner.“

Ich fröstelte.
Die Buchstaben waren eingeritzt, fast eingeschnitten ins Papier, als hätte Silvan sie in Angst geschrieben.
Es war kein Zweifel, auf wen er deutete.

Am nächsten Morgen suchten mich Greta und Milan wieder auf.
Sie wollten wissen, was geschehen war, doch ich konnte ihnen nicht alles erzählen.
Nur, dass wir eine Spur gefunden hatten.

„Wir müssen weiter suchen,“ sagte Milan entschlossen.
„Wir geben nicht auf,“ fügte Greta hinzu.
Ihre Augen brannten vor Entschlossenheit.

Ich wusste, dass ich sie nicht aufhalten konnte.
Und vielleicht sollten sie es auch nicht.
Denn manchmal braucht die Wahrheit junge Stimmen, die keine Angst vor altem Schweigen haben.

Am Abend ging ich allein zu Ralfs Hof.
Der Himmel war grau, Regen zog auf.
Die Fenster seines Hauses waren dunkel, nur im Stall brannte Licht.

Ich trat näher, doch bevor ich anklopfen konnte, hörte ich Schritte hinter mir.
Ich drehte mich um.
Ralf stand da, die Arme verschränkt, der Blick hart.

„Sie hätten nicht herkommen sollen,“ sagte er.
Seine Stimme klang wie ein Befehl.
Und in seinen Augen lag etwas, das ich nicht deuten konnte – Angst oder Zorn.

Ralf trat einen Schritt auf mich zu, und in seiner Hand blitzte plötzlich Metall.

Scroll to Top