Der Hund und die alte Schulbank | Wie ein alter Lehrer, zwei Kinder und ein Hund ein verdrängtes Geheimnis ans Licht brachten

🐾 Teil 7: Die Drohung

Das Mondlicht fiel auf die Wiese, kalt und silbern.
Ralf stand nur einen Schritt von mir entfernt, die Hand fest um ein Werkzeug gekrallt.
Es war kein Messer, sondern ein rostiger Schraubenschlüssel, doch in seinen Augen lag der gleiche Funke wie in einer Waffe.

Baltho sprang sofort vor mich.
Sein Knurren war tief und dunkel, ein Laut, der den Boden vibrieren ließ.
Ralf blieb stehen, seine Schultern angespannt, die Kiefer hart aufeinandergepresst.

„Gehen Sie nach Hause, Kaden,“ sagte er.
„Es gibt Dinge, die Sie nicht verstehen. Dinge, die besser unter der Erde bleiben.“
Seine Stimme bebte, nicht vor Wut, sondern vor etwas, das tiefer ging.

„Sie wissen mehr über Silvan,“ erwiderte ich ruhig.
„Sie können es nicht ewig verschweigen.“
Ralf lachte kurz, ein Laut ohne Freude.

„Schweigen hat unser Dorf am Leben gehalten,“ sagte er.
„Sie wollen alles zerstören, nur weil Sie Ihre eigene Schuld nicht tragen können.“
Seine Worte trafen mich, wie ein Schlag, den man nicht abwehren kann.

„Ich trage meine Schuld,“ flüsterte ich. „Aber Ihre Familie trägt auch eine.“
Seine Augen flackerten, und der Schraubenschlüssel sank ein Stück.
„Sie wissen nichts,“ sagte er, „gar nichts.“

In diesem Moment knarrte es im Stall.
Eine Gestalt trat heraus, langsam, den Rücken gekrümmt.
Es war Frau Teschner, seine Tante, die Schwester des alten Direktors.

„Ralf,“ sagte sie mit einer Stimme, die überraschend fest war, „leg das Werkzeug nieder.“
Er wandte sich zu ihr, und für einen Augenblick war er wieder nur ein Neffe, der Anweisungen hörte.
Zögernd ließ er den Schraubenschlüssel fallen, und er schlug dumpf ins Gras.

„Dieser Hund weiß mehr als wir alle,“ fuhr die alte Frau fort und zeigte auf Baltho.
„Er führt uns dorthin, wo die Wahrheit liegt.“
Ralf schüttelte den Kopf, wütend und doch verzweifelt.

„Die Wahrheit reißt Wunden auf, die nicht mehr heilen,“ rief er.
„Und ich werde nicht zulassen, dass ihr sie alle wieder aufschneidet.“
Er drehte sich um und ging schnellen Schrittes zurück ins Haus.

Die Tür schlug hinter ihm zu, und das Licht im Stall erlosch.
Die Dunkelheit verschluckte ihn, als wäre er nie dagewesen.
Nur der Schraubenschlüssel lag noch im Gras, kalt und nutzlos.

Frau Teschner seufzte schwer.
„Er weiß mehr, als er sagt,“ murmelte sie.
„Aber er wird nicht reden, solange er glaubt, die Ehre seiner Familie retten zu müssen.“

Wir gingen langsam zurück ins Dorf.
Baltho lief zwischen uns, seine Schritte fest, sein Blick unruhig.
Ich spürte, dass er uns führte, auch wenn ich nicht wusste, wohin.

Am nächsten Morgen suchten mich Greta und Milan wieder auf.
Sie hatten von der Begegnung mit Ralf gehört, das ganze Dorf flüsterte bereits.
Ihre Gesichter waren ernst, viel zu ernst für Kinder.

„Wir können nicht aufhören,“ sagte Milan.
„Es ist unsere Geschichte jetzt auch,“ fügte Greta hinzu.
Ich nickte, auch wenn mein Herz schwer wurde bei dem Gedanken, sie in diese Dunkelheit hineinzuziehen.

Wir beschlossen, noch einmal in die Schule zurückzukehren.
Dort, wo alles begonnen hatte.
Vielleicht lag in den Mauern mehr verborgen, als wir bisher entdeckt hatten.

Die Sonne stand hoch, als wir eintraten.
Der Staub in der Luft glitzerte wie ein leiser Regen.
Baltho lief sofort zur hinteren Wand des Klassenraums.

Dort begann er zu kratzen.
Seine Pfoten hinterließen Spuren im alten Putz, Staub rieselte zu Boden.
Wir halfen ihm, lockerten die losen Steine.

Nach einer Weile legte sich ein Loch frei.
Dahinter verbarg sich ein Hohlraum, schmal, aber tief.
Ich tastete hinein und zog ein Bündel hervor.

Es war ein alter Rucksack, verschlissen, die Nähte aufgerissen.
Darin lagen ein paar Hefte, ein Bleistift, und ein Stück Brot, längst zu Stein geworden.
Und zwischen den Seiten der Hefte ein Brief, sauber gefaltet.

Mit zitternden Fingern öffnete ich ihn.
Die Schrift war kindlich, doch die Worte klar.
„Wenn ihr das lest, dann bin ich vielleicht schon nicht mehr hier. Ich habe Angst vor ihm.“

Die Kinder hielten den Atem an.
„Vor wem?“ fragte Greta mit stockender Stimme.
Ich blätterte weiter, und am Ende stand ein Name.

„Teschner.“

Mir wurde schwindlig.
Es war der zweite Hinweis, direkt von Silvans eigener Hand.
Und diesmal gab es keinen Zweifel, dass er den Schulleiter gemeint hatte.

Wir standen still, niemand sprach.
Nur Baltho sah mich an, seine Augen dunkel und tief wie ein Brunnen.
Es war, als fordere er mich auf, endlich alles auszusprechen.

„Wir müssen das Dorf wissen lassen, was geschehen ist,“ sagte ich leise.
„Aber wir brauchen Beweise, mehr als nur ein Heft und einen Brief.“

Greta nickte, Tränen standen ihr in den Augen.
„Und wenn wir sie nicht finden?“
Ich legte meine Hand auf ihre Schulter.

„Dann werden wir trotzdem die Geschichte erzählen. Denn Schweigen ist auch eine Schuld.“

Doch kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, hörten wir draußen Schritte.
Mehrere. Schwer und bestimmt.
Die Tür der Schule wurde aufgestoßen.

Ralf stand dort und er war nicht allein.

Hinter ihm drängten sich Männer aus dem Dorf, und ihre Gesichter waren hart wie Stein.

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