Der Hund und die verlorene Geige | Ein herrenloser Hund, eine verbrannte Werkstatt und eine Geige, die eine alte Liebe zurückbringt

🐾 Teil 4: Der Anspruch des Fremden

Friedrichs Hand blieb an der Tür hängen. Der Mann stand unbeweglich da, die Kälte seiner Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Corvin stellte sich neben Friedrich, das Fell gesträubt, ein tiefes Grollen vibrierte in seiner Kehle.

„Die Geige gehört mir“, wiederholte der Fremde, diesmal langsamer. Seine Stimme war tief, fast drohend.

Friedrich räusperte sich, versuchte, seine Fassung zu bewahren. „Und wer sind Sie, dass Sie so etwas behaupten?“

Der Mann machte einen Schritt nach vorn, sodass das Licht des Ofens auf sein Gesicht fiel. Ein kantiges Kinn, tiefe Falten, ein Bartstoppel, der vom langen Weg erzählte. „Mein Name tut nichts zur Sache. Wichtig ist nur, dass diese Geige meiner Familie gehört hat. Sie wurde uns genommen.“

Elise erhob sich vom Stuhl. Ihr Gesicht erbleichte, als sie den Mann erkannte. „Rainer“, flüsterte sie. „Du…“

Friedrich blickte sie an. „Du kennst ihn?“

Sie nickte, ihre Hände zitterten. „Mein Schwager. Der Bruder meines verstorbenen Mannes.“

Ein Schweigen legte sich über die Werkstatt. Friedrich spürte, wie die Spannung in der Luft schnitt. Der Hund knurrte tiefer, doch Friedrich legte ihm beruhigend die Hand auf den Rücken.

„Die Geige war ein Geschenk meines Vaters“, sagte Elise mit fester Stimme. „Sie war nie Eigentum deiner Familie, Rainer.“

Doch der Mann schüttelte den Kopf. „Mein Bruder hat sie mir zugesprochen, bevor er starb. Und jetzt will ich sie haben.“

Friedrichs Herz schlug heftig. Er sah das Instrument auf der Werkbank liegen, das Holz glänzte im Schein des Feuers, fast so, als lausche es dem Streit. Er spürte, dass es nicht nur um Holz und Saiten ging. Es ging um Erinnerung, um Besitz, um die Vergangenheit, die keiner loslassen wollte.

„Die Geige gehört niemandem allein“, sagte er leise. „Sie hat ihren eigenen Weg gefunden. Und vielleicht gehört sie der Musik mehr als jedem Menschen.“

Rainer trat noch näher, die Hände zu Fäusten geballt. „Ich will sie. Sofort.“

Corvin erhob sich, stellte sich zwischen ihn und die Werkbank. Ein tiefes, kehliges Bellen ließ den Raum erzittern. Der Fremde wich einen halben Schritt zurück.

„Du wirst hier nicht einfach hereinspazieren und fordern, was dir nicht zusteht“, sagte Friedrich, seine Stimme nun schärfer. „Diese Geige ist verletzt gewesen, und ich habe sie geheilt. Wenn sie jemandem gehört, dann der, der sie mit seiner Seele trägt. Und das ist Elise.“

Die Augen des Fremden funkelten. „Dann soll sie spielen. Jetzt. Und wenn der Klang beweist, dass sie würdig ist, werde ich gehen.“

Elise sah zu Friedrich, der langsam nickte. Zittrig nahm sie die Geige, hob sie an ihr Kinn und ließ den Bogen über die Saiten gleiten. Ein Ton, rein und klar, erfüllte die Werkstatt. Er war stärker als je zuvor, getragen von der Geduld der Reparatur, vom Schmerz der Jahre, von der Sehnsucht zweier Menschen.

Der Fremde presste die Lippen zusammen. Für einen Augenblick schien er berührt, doch dann schüttelte er den Kopf. „Schön gespielt. Aber ich lasse mich nicht täuschen. Sie gehört trotzdem mir.“

Friedrichs Geduld riss. „Nein. Sie gehört dir nicht. Geh.“

Das Feuer im Ofen knackte, und draußen peitschte der Wind gegen die Fenster. Der Fremde blieb einen Moment stehen, dann drehte er sich abrupt um und verließ die Werkstatt, die Tür knallte hinter ihm zu.

Stille folgte. Nur das Atemholen von Elise und das leise Winseln Corvins waren zu hören. Friedrich trat zu ihr, legte vorsichtig eine Hand auf ihre Schulter. „Bist du in Ordnung?“

Sie nickte, doch ihre Augen waren voller Angst. „Er wird nicht aufgeben. Ich kenne ihn. Er ist ein Mann, der nimmt, was er will.“

Friedrich spürte, dass sie recht hatte. Der Fremde war nicht jemand, der mit einer Niederlage lebte. Er würde zurückkehren, und das nicht allein.

In dieser Nacht konnte Friedrich kaum schlafen. Immer wieder sah er das harte Gesicht Rainers, hörte seine Stimme, fühlte die Bedrohung. Corvin lag neben seinem Bett, wachsam, die Ohren immer aufgestellt, als spüre auch er die Gefahr.

Am Morgen war der Himmel grau, und ein feiner Nebel lag über der Stadt. Friedrich zündete den Ofen an, setzte Wasser auf und wartete auf Elise. Er hoffte, sie würde wiederkommen, um zu spielen, um ihm Gesellschaft zu leisten, doch er fürchtete, dass die Begegnung sie abgeschreckt hatte.

Doch gegen Mittag klopfte es leise an der Tür. Elise trat ein, ein Schal eng um ihre Schultern gelegt. Sie lächelte schwach. „Ich konnte nicht fernbleiben.“

Er atmete auf, führte sie zum Stuhl am Ofen. „Wir müssen vorsichtig sein. Dein Schwager wird nicht ruhen.“

Sie senkte den Blick. „Ich weiß. Aber die Geige darf nicht in seine Hände fallen. Er würde sie nur verkaufen, an irgendeinen Sammler, dem es um Geld geht und nicht um Klang.“

Friedrich nickte. „Dann werden wir sie beschützen.“

In den Tagen, die folgten, arbeiteten sie weiter an der Musik. Elise spielte jeden Nachmittag, erst zögerlich, dann mit wachsender Sicherheit. Die Melodien füllten die Werkstatt, ließen die Nachbarn lauschen, brachten Leben in die Straßen. Manche blieben vor dem Fenster stehen, schlossen die Augen, ließen die Töne durch sich gehen.

Friedrich fühlte, wie die Stadt erwachte. Die Geige war mehr als ein Instrument. Sie war ein Herzschlag, der vergessen geglaubte Gefühle weckte.

Doch mit jedem Tag wuchs auch die Angst. Immer wieder meinte er, im Schatten der Gassen eine Gestalt zu sehen, die sie beobachtete. Einmal fand er auf seiner Türschwelle einen Zettel, auf dem nur stand: „Es ist noch nicht vorbei.“

Er zeigte ihn Elise nicht, um sie nicht zu beunruhigen. Aber in seinem Inneren wusste er, dass die Ruhe trügerisch war.

Eines Abends, als Elise gerade die Geige weggelegt hatte und Friedrich die Tür verschloss, hörte Corvin ein Geräusch. Er sprang auf, bellte wütend, und im nächsten Moment splitterte die Fensterscheibe. Ein Stein rollte über den Boden, an ihm befestigt ein Stück Papier.

Friedrich hob es auf, entrollte es und las die Worte, die ihm das Blut gefrieren ließen.

„Morgen Nacht hole ich, was mir gehört.“


Friedrich wusste, dass die kommende Nacht über mehr entscheiden würde als nur über den Besitz einer Geige.

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