Der Hund und die verlorene Geige | Ein herrenloser Hund, eine verbrannte Werkstatt und eine Geige, die eine alte Liebe zurückbringt

🐾 Teil 5: Die Nacht der Entscheidung

Friedrich hielt den Zettel lange in der Hand, als könnte er durch bloßes Starren die Drohung auflösen. Die Worte brannten sich in seine Gedanken. Morgen Nacht hole ich, was mir gehört.

Corvin knurrte noch immer, das Fell aufgestellt, die Augen fest auf das zerbrochene Fenster gerichtet. Elise saß stumm am Tisch, die Hände ineinander verschränkt. Sie hatte das Papier ebenfalls gelesen, doch sie sagte nichts. Nur die blasse Farbe in ihrem Gesicht verriet, wie sehr sie die Angst ergriff.

Friedrich legte das Blatt schließlich ins Feuer. Die Flammen leckten daran, bis es zu Asche zerfiel. „Er wird kommen“, sagte er leise. „Und er wird nicht allein sein.“

Elise nickte. „Er ist nicht der Mann, der eine Drohung ausspricht und sie dann vergisst.“

Die Stunden bis zum Morgen vergingen langsam. Friedrich konnte kaum schlafen. Immer wieder stand er auf, prüfte die Türen, sah nach den Fenstern, während Corvin wachsam im Schatten lag. Wenn er doch einmal einschlief, weckte ihn das Knacken des Holzes oder das Heulen des Windes.

Am nächsten Tag war die Werkstatt erfüllt vom Klang der Geige. Elise spielte, als wolle sie der Angst trotzen. Ihre Finger zitterten nicht, ihr Bogen glitt sicher über die Saiten. Die Nachbarn blieben vor dem Haus stehen, manche legten die Hand an die Brust, andere schlossen die Augen. Es war, als wolle sie allen in der Straße ein Stück Hoffnung schenken.

„Wenn er mich zwingt, die Geige zu übergeben“, sagte Friedrich, als sie aufhörte, „dann hat er zwar das Holz, aber nicht die Seele. Die steckt in dir.“

Sie blickte ihn an, Tränen in den Augen. „Und wenn er mehr will als nur die Geige? Wenn er uns zerstören will, weil er es kann?“

Er legte die Hand auf ihre. „Dann werden wir kämpfen. Nicht mit Gewalt, aber mit dem, was wir haben.“

Der Abend senkte sich langsam. Friedrich bereitete alles vor. Er versteckte die Geige nicht. Sie lag offen auf der Werkbank, als wolle er damit zeigen, dass er nichts zu verbergen hatte. Neben dem Ofen legte er Holz nach, damit der Raum hell und warm blieb. Elise saß in der Nähe, Corvin dicht an ihrer Seite.

Die Nacht kroch herein, schwer und dunkel. Draußen war kaum ein Laut zu hören, nur das Tropfen von Regen und das gelegentliche Schlagen der Fensterläden im Wind.

Dann, gegen Mitternacht, hörte Friedrich Schritte. Langsam, schwer, mehrere Paare. Corvin sprang auf, die Lefzen zurückgezogen, die Muskeln angespannt.

Ein Klopfen, hart und fordernd. Drei Mal, wie Hiebe gegen die Tür.

Friedrich atmete tief durch. „Es ist so weit.“

Er öffnete die Tür einen Spalt. Vor ihm standen Rainer und zwei Männer, kräftig, mit dunklen Mänteln, die Gesichter halb im Schatten. Rainer lächelte kalt. „Ich habe es dir gesagt. Ich hole, was mir gehört.“

Friedrich hielt die Tür fest. „Du wirst hier nichts holen, Rainer. Die Geige bleibt, wo sie ist.“

Rainer trat näher, seine Männer schoben sich hinter ihn. „Dann wird es nicht friedlich bleiben.“

Corvin stieß ein tiefes Bellen aus, das die Nacht durchriss. Er sprang vor, die Männer wichen instinktiv zurück. Doch Rainer hob nur die Hand. „Ein Hund schreckt mich nicht. Ich habe schon ganz andere Tiere gezähmt.“

Friedrich spürte die Wut in sich aufsteigen. „Es geht dir nicht um die Geige. Es geht dir um Macht. Aber Musik ist keine Beute, die man raubt.“

Rainer lachte hart. „Musik? Ich sehe nur ein Stück Holz, das mir Geld einbringen wird.“

In diesem Moment trat Elise hervor. Ihre Augen funkelten im Licht des Feuers. „Du wirst sie nicht bekommen, Rainer. Nicht solange ich lebe.“

Für einen Atemzug herrschte Stille. Dann trat Rainer mit einem Ruck nach vorn, wollte an ihr vorbei in die Werkstatt. Corvin war schneller. Mit einem Satz stellte er sich ihm in den Weg, Zähne gefletscht, das Knurren wie Donner. Einer der Männer hob die Hand, doch Friedrich schrie: „Keinen Schritt weiter!“

Sein Herz raste. Er war kein Kämpfer, aber er wusste, dass er diese Nacht nicht weichen durfte. Alles in ihm sagte, dass es hier nicht nur um eine Geige ging. Es ging um Erinnerung, um Liebe, um Würde.

Rainer zögerte. Der Hund wich nicht zurück, Elise stand fest, und Friedrichs Blick war unbeirrbar. Schließlich hob er die Hände, ein falsches Lächeln auf den Lippen. „Gut. Ich gehe. Aber glaubt nicht, dass dies das Ende ist.“

Er drehte sich um, seine Männer folgten ihm. Das Geräusch ihrer Schritte hallte durch die Gasse, bis sie im Regen verschwanden.

Friedrich schloss die Tür, lehnte sich schwer dagegen, während sein Atem zitterte. Elise trat zu ihm, legte eine Hand auf seine Schulter. „Du hast standgehalten.“

Doch er schüttelte den Kopf. „Er wird zurückkehren. Und das nächste Mal wird er vorbereitet sein.“

Die Nacht endete, ohne dass sie noch ein Auge zudrückten. Corvin blieb wach, die Ohren gespitzt, während das erste Grau des Morgens durch die Fenster drang.

Am nächsten Tag sprach die halbe Stadt davon. Manche hatten den Tumult gehört, andere erzählten von einem Hund, der Männer in die Flucht geschlagen habe. Aber niemand wusste genau, wie viel Wahrheit darin lag.

Elise spielte wieder, doch diesmal klangen ihre Töne anders. Tiefer, schwerer, als läge die Angst in jeder Melodie. Friedrich lauschte, und in ihm wuchs die Entschlossenheit. Sie mussten einen Weg finden, Rainer endgültig aufzuhalten.

Am Abend setzte er sich zu Elise. „Es gibt eine Möglichkeit. Morgen ist Markttag. Viele Menschen werden da sein. Wenn du spielst, wenn die Geige ihre Stimme erhebt, dann soll die ganze Stadt Zeuge sein. Rainer wird es nicht wagen, dir das Instrument vor allen wegzunehmen.“

Sie sah ihn lange an, dann nickte langsam. „Dann spiele ich morgen. Aber was, wenn er doch kommt?“

Friedrich legte seine Hand auf die ihre. „Dann wird er nicht gegen uns beide und die Stadt bestehen.“

Die Nacht senkte sich erneut. Sie saßen zusammen am Ofen, Elise mit der Geige in den Händen, Friedrich neben ihr, Corvin zu ihren Füßen. Für einen Moment fühlte er Frieden, ein kurzer Atemzug von Hoffnung.

Doch draußen, im Regen, stand Rainer im Schatten eines Hauses. Er beobachtete ihr Fenster, die flackernden Lichter, die Umrisse der Menschen darin.

Seine Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. „Morgen“, murmelte er. „Morgen gehört sie mir.“


Friedrich ahnte nicht, dass der Markttag nicht nur über die Geige entscheiden würde, sondern über alles, was ihm noch geblieben war.

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