Der Hund und die verlorene Geige | Ein herrenloser Hund, eine verbrannte Werkstatt und eine Geige, die eine alte Liebe zurückbringt

🐾 Teil 7: Der Überfall

Friedrich stand wie erstarrt am Fenster. Der Regen rann die Scheibe hinab, verzerrte die Gestalten draußen, doch er erkannte Rainer sofort. Die breiten Schultern, der unbewegte Blick. Und hinter ihm zwei Männer, dunkle Umrisse, die kaum von der Nacht zu unterscheiden waren.

Corvin hatte sich erhoben, knurrte tief, sein Körper gespannt wie ein Bogen. Elise erwachte vom Laut des Hundes. Verschlafen rieb sie sich die Augen, dann sah sie Friedrichs Gesicht und verstand sofort.

„Er ist wieder da, nicht wahr?“

Friedrich nickte. „Diesmal ist er nicht allein.“

Sie sprang auf, hielt die Geige fester an sich gedrückt. „Wir müssen die Tür verriegeln.“

Friedrich legte den Riegel vor, schob zusätzlich einen schweren Stuhl gegen das Holz. Der Ofen knisterte weiter, doch das Feuer wirkte nun wie eine kleine, hilflose Flamme gegen die Dunkelheit draußen.

Ein dumpfer Schlag ließ die Wände erzittern. Die Männer rüttelten an der Tür. Corvin bellte heiser, sprang vor, die Krallen kratzten über die Dielen.

„Öffne, Friedrich“, rief Rainers Stimme. „Mach es uns nicht schwerer, als es sein muss.“

Friedrichs Hände zitterten, doch er trat vor die Tür. „Die Geige bleibt hier. Sie gehört dir nicht.“

Ein zweiter Schlag, stärker als der erste. Der Stuhl wankte, der Riegel ächzte. Elise stand neben ihm, das Gesicht bleich, doch entschlossen. „Wir dürfen nicht aufgeben“, flüsterte sie.

Plötzlich krachte das Fenster zu Boden. Splitter flogen durch den Raum, kalte Luft drang herein. Einer der Männer kroch durch die Öffnung, doch ehe er den Fuß auf den Boden setzte, sprang Corvin. Mit einem wilden Knurren stürzte er sich auf den Eindringling, brachte ihn zu Boden. Ein Schrei gellte durch die Werkstatt, gefolgt von wütendem Fluchen.

Friedrich packte den Schürhaken vom Ofen, hielt ihn wie eine Waffe in der Hand. Sein Herz schlug so laut, dass er glaubte, es müsse den Raum füllen. Elise wich zurück, doch sie ließ die Geige nicht los.

Der zweite Mann stieß die Tür auf. Das Holz splitterte, der Stuhl kippte zur Seite. Rainer trat hinter ihm ein, das Gesicht von Hass verzerrt.

„Jetzt ist Schluss“, knurrte er.

Friedrich hob den Schürhaken, stellte sich zwischen sie und Elise. „Du wirst hier nichts mitnehmen.“

Rainer lachte kalt. „Du bist alt, Friedrich. Du kannst mich nicht aufhalten.“

Doch in diesem Moment biss Corvin den Mann am Fenster ins Bein. Der schrie auf, stürzte zurück und zog sich blutend hinaus. Für einen Augenblick herrschte Chaos.

Elise hob die Geige an ihr Kinn. Es war eine Verzweiflungstat, ein Akt der Hoffnung. Sie strich den Bogen über die Saiten. Ein Ton erhob sich, hell und klar, trotz der Finsternis. Er durchbrach den Lärm, füllte die Werkstatt mit einer Kraft, die größer war als Angst.

Alle erstarrten. Selbst Rainer hielt inne, sein Blick glitt zu ihr, und für einen Herzschlag wirkte er gebannt vom Klang.

„Hörst du das?“ rief Elise. „Das ist nicht dein Besitz. Das ist Leben. Und du wirst es nie haben.“

Rainer knurrte, packte einen Schritt später nach dem Instrument. Friedrich sprang dazwischen, rammte ihm den Schürhaken gegen die Schulter. Ein dumpfer Aufprall, Rainer taumelte zurück, doch sein Zorn wurde nur größer.

Der zweite Mann, der durch die Tür gekommen war, warf sich nun auf Friedrich. Beide stürzten, der Schürhaken flog klirrend zu Boden. Friedrich rang mit ihm, keuchte, die Kräfte schwanden ihm, doch er klammerte sich an den Arm des Angreifers, um ihn von Elise fernzuhalten.

Corvin ließ den verletzten Mann los und sprang nun auch auf den zweiten. Zähne blitzten, ein Knurren wie Donner, und der Angreifer schrie, als der Hund ihn zu Boden riss.

Rainer nutzte den Moment, griff nach der Geige. Seine Hände packten sie grob, fast zerdrückend. Elise schrie auf, versuchte sie ihm zu entreißen. Für einen Atemzug hielten beide das Instrument, wie zwei Menschen, die um ein Herz ringen.

„Lass los!“ fauchte Rainer. „Oder ich zerbreche sie.“

Elises Augen glitzerten im Feuerschein. „Lieber zerbrochen als in deinen Händen.“

Sie riss den Bogen nach oben, traf seine Hand. Rainer fluchte, ließ das Instrument fallen. Friedrich nutzte den Moment, warf sich mit aller Kraft gegen ihn. Beide stürzten gegen die Werkbank, Werkzeuge klirrten zu Boden.

Es war ein Kampf, roh und verzweifelt. Friedrichs Körper brannte vor Schmerzen, doch er dachte nicht nach. Er kämpfte, weil er musste, weil hier alles auf dem Spiel stand, was er noch besaß.

Corvin trieb die Männer zurück, bis sie schließlich durch das zerbrochene Fenster flohen, keuchend und fluchend. Nur Rainer blieb. Schwer atmend stand er auf, das Gesicht blutverschmiert, die Augen voller Hass.

„Das ist nicht vorbei“, keuchte er. „Ich schwöre es. Ich nehme sie mir. Wenn nicht heute, dann morgen.“

Er stolperte zur Tür hinaus, verschwand in der Nacht. Nur das Heulen des Windes blieb zurück.

Friedrich sank erschöpft auf die Werkbank. Elise kniete neben ihm, legte die Geige vorsichtig zur Seite, als wäre sie ein verwundetes Kind.

„Bist du verletzt?“ fragte sie hastig.

Er schüttelte den Kopf, wischte sich das Blut von der Stirn. „Es geht.“

Corvin kam zu ihm, die Lefzen noch immer erhoben, doch die Augen voller Sorge. Friedrich legte die Hand auf seinen Kopf. „Du hast uns gerettet, Junge.“

Die Nacht endete im Chaos. Splitter lagen überall, Blutspuren zogen sich über den Boden. Doch die Geige war unversehrt. Und Elise hielt sie an sich gedrückt, als wollte sie nie wieder loslassen.

Am Morgen war die Geschichte in der ganzen Stadt. Nachbarn erzählten von Schreien, von einem Hund, der Männer verjagt hatte, von Musik, die inmitten des Sturms erklungen war. Manche schauten Friedrich bewundernd an, andere voller Sorge.

Doch er wusste, dass dies nur eine Schlacht war, nicht der Krieg. Rainer war nicht besiegt. Er würde zurückkehren, und er würde klüger, härter, gefährlicher sein.

Elise spielte an diesem Tag nicht. Sie saß lange schweigend in der Werkstatt, den Blick auf die Geige gerichtet. Schließlich sagte sie leise: „Wir können nicht ewig hier warten. Wir müssen ihn stellen, bevor er uns zerstört.“

Friedrich blickte sie an, müde, aber entschlossen. „Dann müssen wir vorbereitet sein. Mit der Geige. Mit der Musik. Mit allem, was wir haben.“

Corvin hob den Kopf, als habe er jedes Wort verstanden.

Die Sonne sank, und ein unruhiges Schweigen legte sich über das Haus. Doch tief in Friedrich wuchs eine Erkenntnis: Sie würden Rainer nicht länger nur abwehren können. Es musste eine Entscheidung fallen, die endgültig war.


Friedrich wusste, dass die Zeit des Wartens vorbei war – die nächste Begegnung würde alles entscheiden, für immer.

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