🐾 Teil 9: Die Flammen der Nacht
Die Tage nach dem Konzert in der Kirche waren erfüllt von einer neuen Wärme. Menschen grüßten Friedrich auf der Straße, Kinder riefen Elises Namen, und überall wurde von der Geige gesprochen, die nicht nur Musik, sondern Hoffnung gebracht hatte. Für einen kurzen Augenblick schien es, als hätten sie gesiegt.
Doch Friedrich konnte die Unruhe in seinem Inneren nicht vertreiben. Er kannte den Blick Rainers, als er die Kirche verlassen hatte. Es war der Blick eines Mannes, der gedemütigt worden war und sich dafür rächen würde.
Elise spürte es ebenso. Manchmal hielt sie die Geige so fest, als müsse sie sie mit ihrem Leben verteidigen. Und Corvin schlief kaum noch. Jede Nacht lag er wach vor der Tür, die Muskeln gespannt, das Ohr bei jedem Geräusch zuckend.
Am vierten Abend nach dem Konzert kam der Sturm. Regen prasselte gegen die Fenster, der Wind rüttelte an den Läden. Friedrich saß mit Elise am Ofen, die Geige lag in ihrem Schoß. Sie spielten leise, nur für sich, eine Melodie, die kaum lauter war als das Knistern des Feuers.
„Vielleicht gibt er doch auf“, sagte Elise leise, fast so, als wolle sie sich selbst überzeugen.
Friedrich schüttelte den Kopf. „Ein Mann wie er gibt nie auf.“
In diesem Moment hörte Corvin ein Geräusch. Ein tiefes Knurren brach aus seiner Kehle. Friedrich sprang auf, trat ans Fenster. Erst sah er nur Regen und Dunkelheit. Dann bemerkte er einen flackernden Schein.
„Feuer“, flüsterte er.
Im nächsten Augenblick schlugen Flammen am hinteren Teil des Hauses hoch. Holz krachte, Rauch stieg auf. Rainer hatte nicht mehr versucht, die Geige direkt zu rauben. Er wollte alles zerstören.
„Elise, hinaus!“ rief Friedrich.
Sie sprang auf, die Geige fest im Arm. Der Rauch breitete sich schnell aus, füllte die Werkstatt, brannte in den Augen. Corvin bellte laut, sprang zur Tür. Doch als Friedrich sie öffnen wollte, war sie von außen blockiert.
„Er hat uns eingeschlossen“, keuchte er.
Die Hitze wurde stärker. Das Feuer fraß sich durch die Wände, Flammen leckten über das Holz. Elise hustete, Tränen liefen ihr über die Wangen. „Wir müssen raus, Friedrich!“
Er packte einen Stuhl, schlug damit gegen das Fenster. Glas splitterte, kalte Nachtluft drang herein. Corvin sprang zuerst hinaus, dann half Friedrich Elise. Sie landete im nassen Gras, hielt die Geige an sich gedrückt.
Friedrich kletterte hinterher. Hinter ihnen loderte das Feuer, als wolle es den Himmel verschlingen.
Und im Schein der Flammen sah er Rainer stehen. Regennass, die Augen von Hass erfüllt, die Fäuste geballt.
„Wenn ich sie nicht haben kann“, rief er durch das Donnern des Feuers, „dann soll sie niemand haben.“
Friedrich stürzte vor, doch Elise hielt ihn zurück. „Nein. Lass ihn gehen. Er hat schon alles verloren.“
Doch Rainer wich nicht. Er starrte auf die Geige in Elises Armen, als sei sie der letzte Atemzug seiner Welt. Für einen Moment schien es, als wolle er sich in die Flammen stürzen, nur um sie zu zerstören.
Corvin stellte sich vor Elise, knurrte so tief, dass es selbst durch den Sturm hallte. Rainer hob die Hand, trat einen Schritt näher.
Da brach ein Balken aus dem Dach, krachte mit Donnern zu Boden, Funken stoben in die Luft. Rainer wich zurück, das Feuer schnitt ihm den Weg ab. Für einen Augenblick war er eingekesselt zwischen Glut und Regen, zwischen Hass und Niederlage.
„Rainer!“ rief Friedrich. „Lass es enden. Es ist vorbei.“
Doch Rainers Augen flackerten. „Es endet erst, wenn sie zerbrochen ist.“
Dann rannte er los. Nicht auf das Feuer zu, sondern auf Elise. Seine Hände streckten sich nach der Geige.
Corvin sprang. Hund und Mann prallten im Regen aufeinander, stürzten in den Schlamm. Ein Aufschrei, ein Knurren, Schläge, ein wilder Kampf. Elise schrie, Friedrich riss an Rainers Arm, doch der schlug ihn mit einer Wucht zurück, dass er zu Boden ging.
Der Regen prasselte, das Feuer loderte, die Nacht bebte von Geräuschen.
Corvin biss sich fest, Rainer brüllte vor Schmerz, doch er schlug weiter, trat nach dem Hund, der nicht losließ. Elise stand erstarrt, die Geige fest an sich gedrückt, unfähig, sich zu bewegen.
Friedrich rappelte sich hoch, griff nach einem Balken, der im Regen lag. Mit letzter Kraft schlug er Rainer gegen die Schulter. Der Mann taumelte, fiel auf die Knie. Corvin nutzte den Moment, riss ihn zu Boden.
Ein lautes Krachen ertönte, als das Dach der Werkstatt endgültig einbrach. Flammen stiegen hoch, Funken wirbelten in den Sturm. Rainer lag am Boden, atmete schwer, sein Gesicht voller Schlamm und Blut.
„Es ist vorbei“, keuchte Friedrich.
Doch Rainer lachte heiser, trotz Blut und Schmerz. „Nein. Noch nicht. Solange ich lebe, wird sie mir nicht gehören. Aber sie wird auch dir nicht bleiben.“
Er griff nach einem Messer, das unter seinem Mantel verborgen gewesen war. Die Klinge blitzte im Feuerschein. Mit einem letzten, verzweifelten Schrei stieß er nach vorn, nicht auf Friedrich, sondern auf Elise.
Friedrich brüllte, sprang dazwischen, doch er war zu langsam.
Die Klinge glitt durch die Luft, blitzte tödlich.
Friedrich sah nur noch, wie das Messer in der Dunkelheit aufflammte und dann traf es.