Der letzte Brief aus Verdun | Ein letzter Brief, ein toter Hund – und die Wahrheit, die Jahrzehnte später ans Licht kam

Teil 4: Der Garten mit dem Apfelbaum


Leipzig, zwei Tage später

Der Regen hatte aufgehört. Die Luft war kalt, aber klar, als Johann die hölzerne Gartentür hinter sich schloss. Der kleine Garten hinter dem Haus lag still da – Herbstlaub bedeckte den Boden wie altes Papier, das keiner mehr lesen wollte. In der Mitte stand ein knorriger Apfelbaum. Nackt, verwittert.
Wie er selbst, dachte Johann.

Anna kam mit zwei Tassen Tee. „Mein Vater hat unter diesem Baum immer gesessen, wenn er frei hatte. Hat mir Geschichten erzählt – von Bayern, von Bruno, von Ihnen.“

Johann setzte sich langsam auf die Bank unter dem Baum. Das Holz knarrte unter seinem Gewicht.
„Ich weiß nicht, ob ich ein Held war“, sagte er leise.
„Ich glaube, das hat er auch nie gesagt“, entgegnete Anna sanft. „Aber er hat Sie geliebt.“


Das alte Fotoalbum

Zurück im Haus holte Anna ein abgegriffenes Fotoalbum. Die Seiten waren vergilbt, aber ordentlich beschriftet.
Metz, 1915Übungslager bei TournaiBruno mit Helm auf dem Kopf

Johann lächelte müde. „Das war seine Idee. Mahler wollte, dass Bruno zum Maskottchen wird.“

„War er doch auch, oder?“
„Mehr als das. Er war unser Herz. Ohne ihn hätten wir längst aufgegeben.“

Er blätterte weiter. Plötzlich stockte er.

Ein Foto: Er selbst, jung, mit schiefem Lächeln. Bruno sitzt vor ihm. Die Pfote auf seinem Knie.

„Ich wusste nicht, dass es das Bild noch gibt.“

Anna nahm es vorsichtig aus der Hülle. „Ich glaube, es sollte irgendwann zu Ihnen.“


Ein vergessenes Kapitel

Am Abend saßen sie schweigend am Tisch. Nur das Ticken der alten Standuhr durchbrach die Stille.

Dann sprach Johann: „Ich habe Bruno damals losgeschickt. In der Hoffnung, jemanden zu retten. Ich hätte selbst gehen sollen.“

Anna sagte nichts. Wartete.

„Er war schneller als ich. Tapferer. Ich habe ihn geopfert – und er hat mich trotzdem nicht im Stich gelassen.“

Seine Stimme zitterte. „Ich habe ihn im Regen begraben. Ohne Worte. Ich hatte keine mehr.“

Anna legte ihre Hand auf seine.
„Aber jetzt haben Sie welche. Und vielleicht gibt es jemanden, der sie hören möchte.“


Der Brief, den er nie geschrieben hatte

Spät in der Nacht saß Johann mit Papier und Füller vor dem Fenster. Der Wind bewegte die Gardine wie einen Schleier.

Er begann zu schreiben. Nicht an Anna. Nicht an Friedrich.
Sondern an Bruno.

„Mein Freund,
ich habe dich damals allein gelassen.
Ich dachte, ich hätte das Richtige getan – für die Menschen.
Aber ich habe dich nicht gefragt.
Wenn du noch einmal rennen würdest – ich würde mit dir gehen.“

Er faltete das Papier, legte es neben das Halsband.
Und schlief mit offenen Augen ein.


Letzter Absatz – Cliffhanger

Am Morgen fand Anna den Brief.
Sie las ihn nicht.
Aber sie verstand alles.

Im Garten wehte ein einzelnes Apfelblatt im Wind – und landete auf dem Stein, den sie später mit Johann über dem alten Kästchen vergraben würde. Darin: das Halsband. Der Brief. Und ein kleines Foto.

Ein Grab für einen Hund – und ein Leben voller Schuld, das endlich zur Ruhe kam.

Doch der Weg war noch nicht zu Ende.

Scroll to Top