🐾 Teil 6: Die Tür, die sich nicht schließen will
Die Sonne stand tief, als Krüger die Nachricht erhielt.
Die Reha war genehmigt. Acht Wochen in Bad Elster, eine der besten Kliniken für kardiologische Nachsorge. Alles bezahlt von der Kasse, mit Fahrdienst und Einzelzimmer.
Doch kaum hatte die Schwester das Formular überreicht, war der Glanz aus Krügers Blick gewichen.
„Und Kuno?“
Sie sah auf, zögerte.
„Tiere sind dort leider nicht erlaubt.“
Krüger schwieg. Dann faltete er das Formular und legte es langsam auf den Nachttisch.
„Ich seh’s mir an. Später.“
Kuno lag wie immer am Fußende, die Ohren leicht gesenkt, als hätte er jedes Wort verstanden.
Am Nachmittag kam Ritter vorbei.
„Na, hab gehört, du darfst wieder raus an die frische Luft.“
Krüger lachte leise.
„Frisch ja. Aber nicht frei.“
Er erklärte ihm die Situation. Die Klinik. Die Regeln. Die Aussicht auf Besserung.
„Aber ohne ihn“, fügte er hinzu und deutete auf den Hund.
Ritter trat ans Fenster, schob die Jalousie beiseite.
„Du musst dich entscheiden, Hans. Für dich. Nicht gegen ihn. Er würde wollen, dass du lebst.“
„Ich weiß.“
„Und er? Wo bleibt er?“
Krüger zuckte mit den Schultern.
„Tierheim vielleicht. Oder irgendeine Pflegestelle. Er ist alt. Wer nimmt schon einen alten Hund mit Arthrose?“
Ritter schwieg.
„Ich hab keine Verwandten mehr. Keine Kinder. Keine Frau. Wenn ich gehe… bleibt ihm niemand.“
Kuno hob den Kopf, als würde er spüren, dass es um ihn ging.
„Ich könnte ihn nehmen“, sagte Ritter nach einer Weile. „Aber ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Und meine Wohnung ist im dritten Stock.“
Sie schwiegen lange.
Am nächsten Tag kam eine Sozialarbeiterin, jung, freundlich, effizient.
Sie erklärte Krüger das Reha-Programm, die Abläufe, die Chancen. Dann fragte sie beiläufig:
„Haben Sie jemanden für den Hund?“
Krüger antwortete nicht.
Kuno stand auf, trat langsam zur Frau, beschnüffelte ihre Hand.
Sie lächelte gequält.
„Tut mir leid. Ich bin gegen Hunde allergisch.“
Krüger sah zum Fenster hinaus.
Draußen blühten die Kastanien.
Zwei Tage vor dem geplanten Verlegungstermin wurde ein letztes Gespräch mit dem Arzt angesetzt.
„Sie wissen, dass die Reha entscheidend sein kann, Herr Krüger.“
„Ich weiß.“
„Und dass wir den Hund nicht mitverlegen dürfen.“
„Auch das weiß ich.“
„Dann unterschreiben Sie bitte hier.“
Krüger hielt den Stift in der Hand.
Er sah auf das Blatt. Dann auf Kuno.
Dann legte er den Stift wieder hin.
„Nein.“
Der Arzt blinzelte.
„Wie bitte?“
„Ich geh nicht.“
„Herr Krüger, das ist unvernünftig.“
„Mag sein. Aber ich hab die Hälfte meines Lebens damit verbracht, Befehle zu befolgen. Jetzt geb ich einen.“
Er sah ernst. Ruhig. Müde, aber entschlossen.
„Ich bleib bei ihm. Solange er da ist.“
Die Entscheidung sprach sich schnell herum.
Manche im Haus hielten ihn für stur. Andere für rührend.
Aber niemand konnte leugnen, dass der alte Mann mit dem alten Hund etwas in Gang gesetzt hatte, das mehr war als Routine.
Am Abend klopfte es an Krügers Tür.
Die Schwester mit den grauen Haaren trat ein.
„Ich hab da was gehört. Eine Kollegin in Bad Elster kennt jemanden. Eine kleine Einrichtung neben der Klinik. Privat. Tiere erlaubt. Gegen Bezahlung, aber diskret.“
Krüger hob die Augenbrauen.
„Nicht offiziell. Aber möglich.“
„Und?“
„Was sagen Sie? Noch eine Chance auf Reha mit Hund.“
Krüger sah zu Kuno.
Der stand schon an der Tür.
Als hätte er verstanden.
Und in diesem Moment wusste Krüger: Es gab Türen, die sich nur dann öffnen, wenn man sich weigert, sie zu schließen.