Der letzte Einsatz | Sein letztes Bellen galt ihr: dem Kind, das er ein letztes Mal retten musste

🐾 Teil 9: Zwischen den Welten

Berchtesgadener Land, 3. Juni 2025 – derselbe Abend, nach der Rettung


Es roch nach feuchter Erde, nach altem Holz, nach nasser Wolle.
Und ein wenig nach Blut.
Nicht viel, aber genug, dass Clara es roch, noch bevor sie ihn sah.

Basko lag im Rettungszelt, auf einer ausgelegten Decke.
Sein Fell war verfilzt, sein Atem flach.
Der Tierarzt hatte ihn notdürftig versorgt: Infusion, Schmerzmittel, ein Tropfen Morphium gegen das Zittern.

„Mehr können wir nicht tun“, sagte der Mann leise.
„Sein Herz ist erschöpft. Die Lunge voller Wasser. Vielleicht hat er innerlich geblutet.“


Clara nickte.
Sie verstand die Worte, aber nicht mit dem Kopf.
Sondern mit dem Herzen.
Dort, wo die Worte nicht wehtun, sondern sacken.

„Wie lange hat er noch?“
„Stunden. Vielleicht einen Tag.“


Lina saß neben ihm.
Sie hatte frische Kleidung an, die Haare noch feucht vom Duschen.
Sie redete nicht.
Sie hielt nur seine Pfote.
Mit beiden Händen, ganz fest.
Als würde sie etwas festhalten, das ihr nicht gehören durfte.


Friedrich brachte Decken.
Eine für Basko, eine für Lina.
„Ich bleib bei euch“, sagte er.
Clara stellte eine Tasse Tee auf den Boden.
Niemand rührte sie an.


Es war ein Abend ohne Geräusche.
Keine Sirenen mehr.
Kein Regen.
Nur das Summen der Notstromaggregate in der Ferne, wie das leise Brummen einer Welt, die sich neu sortieren musste.


Der Tierarzt kam noch einmal.
Horchte, nickte.
„Er hält sich länger, als ich dachte.“

Dann beugte er sich zu Clara.
„Manche Hunde… gehen nicht einfach. Sie warten.“

„Worauf?“
„Auf Erlaubnis. Oder auf jemand Bestimmten.“


Clara beugte sich zu Basko, flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Lina tat es ihr gleich.
„Du darfst schlafen“, sagte sie.
„Ich bin da. Ich pass jetzt auf.“

Doch er blieb.


Die Nacht verging in Halbschlaf.
Lina döste kurz weg, mit dem Kopf auf Baskos Schulter.
Clara saß daneben, die Hände im Schoß gefaltet.
Friedrich wachte, starrte durch das Zelt hinaus in den Himmel, wo langsam die Sterne hervorkamen.

Und Basko, er atmete.
Langsam, schwer.
Aber rhythmisch.
Wie ein alter Motor, der nicht aufhören will, obwohl er längst dürfte.


Irgendwann hob er den Kopf.
Nicht viel nur ein paar Zentimeter.
Aber seine Augen waren offen.
Klarer als je zuvor.

Clara beugte sich vor.
„Willst du was?“

Er bewegte sich nicht.
Doch sein Blick ging zur Seite dorthin, wo Lina lag.


Sie wachte auf.
Einfach so, als hätte jemand ihren Namen gerufen.
Sie setzte sich auf, blinzelte.

„Basko?“

Er schaute sie an.
Lange.
Still.
Und sie verstand.


Sie nahm die Medaille, die neben der Decke lag.
Die selbstgebastelte.
„Du darfst sie mitnehmen“, sagte sie.
„Aber den Hasen brauch ich wieder.“

Ein leises Schnauben.
Ein Zucken im Schwanz.

Sie lächelte.
„Abgemacht?“


Dann beugte sie sich vor und küsste ihn auf die Stirn.
Langsam.
Zärtlich.
Wie man jemanden küsst, der weitergeht, aber nicht verschwindet.


Er schloss die Augen.
Und atmete noch einmal ein.
Tief.
Lang.
Wie das Einziehen eines letzten Bildes.

Dann Stille.


Der Tierarzt kam.
Horchte.
Schaute.
Nickte.

„Er ist gegangen. Ganz ruhig.“


Clara weinte nicht.
Sie streichelte sein Fell, so wie in der ersten Nacht, als er bei ihnen geschlafen hatte.
Friedrich legte seine Hand auf Claras Schulter.
Seine Lippen zitterten.
Aber er sagte nur:
„Danke.“


Lina saß noch eine Weile da.
Dann legte sie den Hasen an sich.
„Er hat’s geschafft“, sagte sie.
„Er hat mich gefunden.“


Am nächsten Morgen hob der Wind an.
Leicht.
Sanft.
Er wirbelte durch das geöffnete Zelt, durch das Fell des toten Hundes, durch das Haar des Kindes.

Und dann fiel ein einzelnes Blatt vom Apfelbaum, den sie gestern noch gar nicht bemerkt hatten.
Es segelte langsam, tanzte kurz und landete genau auf Basko’s Brust.


Keiner sagte ein Wort.
Aber alle verstanden.


Friedrich baute am selben Tag einen kleinen Sarg.
Aus altem, geöltem Kiefernholz.
Clara legte ihm ein Tuch bei, Lina einen kleinen Zettel:

„Danke. Dass du gekommen bist.“

Darunter ein Bild.
Ein Mädchen.
Ein Hund.
Und eine Sonne.


Sie begruben ihn am Rand des Gartens, unter dem Apfelbaum.
Genau dort, wo er immer gelegen hatte.
Ein stiller Platz.
Ein guter Platz.


Der Pfarrer kam.
Er kannte Basko.
Und er sagte:
„Manche Engel kommen ohne Flügel. Aber mit Pfoten.“


Und in der Nacht träumte Lina, dass sie wieder in der Flut war, aber diesmal trug sie ihn.

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