Der letzte Kamerad | Er rettete einen Hund im Krieg – und der Hund rettete ihn bis zum letzten Atemzug.

📝 Teil 4 – „Der letzte Kamerad“

Der nächste Morgen begann mit Regen.

Feiner Niesel, der leise gegen die Fensterscheiben klopfte wie eine alte Melodie. Wilhelm stand in der Küche, die Hände um die heiße Tasse Kaffee gelegt. Er blickte hinaus in den grauen Garten, wo Tropfen von den Birnenbaumzweigen fielen – genau dort, wo Rex nun lag.

Er trank langsam. Alles ging langsamer seit Rex fort war.

Gegen halb zehn klopfte es an der Tür.
Es war Paul – mit triefender Jacke und rotem Gesicht.

„Ich hab’s versprochen“, sagte er nur.
Wilhelm trat zur Seite, ließ ihn eintreten.

Er legte Holz in den Ofen, reichte dem Jungen ein Handtuch.
„Du bist verrückt, bei dem Wetter durch das halbe Dorf zu laufen.“
„Ich wollte nicht, dass Rex friert“, antwortete Paul leise.

Wilhelm stockte kurz. Dann nickte er.

Nach einer Weile saßen sie wieder gemeinsam am Küchentisch.
Paul holte sein Notizbuch hervor.
„Darf ich Sie was fragen? Etwas Persönliches?“

Wilhelm sah ihn an, dann nickte langsam.
„Haben Sie Kinder?“
Ein tiefer Atemzug.
„Nein.“

Er stand auf, ging zum Schrank in der Ecke, holte ein altes Fotoalbum hervor – nicht das mit Rex, ein anderes, dickeres. Er schlug es auf, blätterte durch die vergilbten Seiten.
Auf einem Foto war Anna zu sehen, jung, mit geflochtenem Haar, lachend in einer Sommerwiese.

„Wir wollten“, sagte Wilhelm, „aber es hat nie geklappt. Damals hieß es, die Nerven seien schuld. Oder die Folgen des Krieges. Wer weiß das schon.“
Er schloss das Album.
„Rex war unser Kind, wenn du so willst.“

Paul schwieg eine Weile.
Dann sagte er:
„Sie wären ein guter Vater gewesen.“

Ein kurzer Blick. Keine Worte. Aber etwas in Wilhelms Miene wurde weicher.

Am Nachmittag brachten sie gemeinsam ein kleines Holzkreuz zum Grab. Paul hatte es gebastelt. Aus zwei alten Latten, die er mit Draht zusammengebunden hatte.

Oben stand in krakeliger Schrift:
„Mein Freund Rex – Du hast mich verstanden.“

Wilhelm legte seine Hand auf Pauls Schulter.
„Danke, Junge.“

An diesem Abend, allein im Wohnzimmer, zog Wilhelm eine kleine Holzkiste unter dem Sofa hervor. Darin lagen Briefe. Dutzende.

Alte Feldpost. Schreiben an Anna, nie abgeschickt.
Er nahm einen heraus, datiert: 3. Februar 1945.

“Meine liebste Anna,
ich weiß nicht, ob ich je wiederkomme. Heute war der Himmel rot vor Feuer. Ich habe einem Kameraden die Augen geschlossen. Und dann…
Dann habe ich etwas gerettet, das kleiner war als meine Hand, aber größer als alles, was ich noch gefühlt habe. Ein Welpe. Ich nenne ihn Rex.”

Wilhelm las den Brief laut. Nur für sich. Und vielleicht – für jemanden, der ihn hören konnte.

Als er später ins Bett ging, ließ er die Tür einen Spalt offen.
Ein alter Reflex. Für den Hund, der sonst immer nachts kontrollierte, ob alles in Ordnung war.

Doch diesmal war es nicht Rex, der leise die Treppe hochkam.
Es waren Pauls Schritte.

Er rief von draußen:
„Herr Brenner? Ich hab was vergessen.“

Wilhelm öffnete die Tür.
Der Junge stand da mit einem alten Ball.
„Ich dachte… Vielleicht könnten wir morgen spielen. Einfach so. Für Rex.“

Wilhelm lächelte.
„Ja, Paul. Das könnten wir.“

Und in diesem Moment fühlte sich die Welt ein klein wenig weniger leer an.

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