Der letzte Kamerad | Er rettete einen Hund im Krieg und der Hund rettete ihn bis zum letzten Atemzug

📝 Teil 8 – Der letzte Kamerad

Der September brachte kalte Nächte.

Wilhelm wachte öfter auf – nicht wegen Geräuschen, sondern wegen der Stille in seinem Körper. Als würde alles langsamer werden. Die Knochen waren schwerer, das Atmen bewusster.

Aber er klagte nicht. Dafür war er nie der Typ gewesen. Stattdessen zählte er morgens die Sekunden, bis die Gelenke gehorchten. Und stand dann auf. Immer.

Paul kam weiterhin regelmäßig, doch nun war es Wilhelm, der oft auf der Bank wartete. Mit einer Decke über den Knien, das Notizbuch auf dem Schoß.
„Ich schreibe zu Ende, was du begonnen hast“, sagte er eines Tages.

Paul nickte.
„Dann machen wir’s gemeinsam.“

An einem goldenen Sonntag besuchten sie das Grab noch einmal. Der Wind strich leise durch die Gräser, und auf dem Stein lagen Kastanien, die Paul gesammelt hatte.

„Ich glaube, er hätte gerne mit denen gespielt“, sagte der Junge.
„Rex hat nie etwas zerkaut. Aber wenn du ihm eine Kastanie hingelegt hast, hat er sie wie einen Schatz bewacht“, antwortete Wilhelm lächelnd.

Sie setzten sich in die Sonne. Paul zog seinen Rucksack hervor.

Darin: ein Ausdruck des neuen Gedenkschildes, das sie dem Bürgermeister vorgeschlagen hatten.
Oben stand in schlichten Lettern:

„Rex – Ein treuer Begleiter. Gerettet im Krieg. Gelebt in Frieden. Unvergessen.“

Wilhelm fuhr mit dem Finger über die Zeilen.
„Das ist mehr, als ich je für ihn tun konnte“, murmelte er.
„Nein“, sagte Paul. „Sie haben ihn gerettet. Und damit sich selbst.“

Wilhelm sah zum Himmel.
„Vielleicht. Vielleicht auch nur ein bisschen Trost gesucht.“

Dann traf ihn plötzlich ein Schmerz in der Hüfte. Er verzog das Gesicht.
Paul bemerkte es sofort.

„Sollen wir zurückgehen?“
„Nein, nein. Nur ein stechender Gruß vom Alter. Nichts, was eine warme Suppe nicht bessern könnte.“

Am Abend saßen sie wieder in der Küche. Wilhelm hatte die Suppe aufgesetzt – Linseneintopf nach Annas altem Rezept. Paul durfte umrühren, während Wilhelm Gewürze hinzufügte.

„Ein bisschen Majoran“, sagte er. „Und dann ganz am Ende ein Tropfen Essig – so hat sie’s immer gemacht.“

Als sie aßen, fühlte sich alles seltsam vertraut an.
Fast so, als wäre Anna im Raum.

Fast so, als würde Rex gleich aufstehen und sich unter den Tisch legen.

„Ich hab Angst davor, wenn Sie mal nicht mehr sind“, sagte Paul plötzlich.
Wilhelm hielt inne.

Dann legte er die Hand auf den Tisch.
„Ich bin alt, Junge. Das ist kein Geheimnis. Aber was ich war – ein Ehemann, ein Soldat, ein Freund – das bleibt. Solange jemand da ist, der sich erinnert.“

Paul nickte.
Er stand auf, holte das Notizbuch und reichte es Wilhelm.
„Dann schreiben Sie weiter. Bitte.“

Wilhelm sah ihn lange an.
„Gut“, sagte er.
„Aber nur, wenn du versprichst, dass du auch eines beginnst.“

Paul runzelte die Stirn.
„Worüber?“
„Über das, was du gerade lernst. Nämlich, dass das Leben manchmal dort beginnt, wo man denkt, es endet.“

Sie stießen mit Wassergläsern an.
Und in dieser kleinen Geste lag mehr Verbundenheit als in tausend großen Worten.

Scroll to Top