Der letzte Kamerad | Er rettete einen Hund im Krieg – und der Hund rettete ihn bis zum letzten Atemzug.

📝 Teil 10 – „Der letzte Kamerad“

Der letzte Sonntag im Oktober kam still.

Ein frostiger Hauch lag über dem Dorf. Die Dächer glänzten weiß, und selbst die Krähen schienen leiser zu fliegen. In Bad Grund war der erste Schnee gefallen – dünn, fast durchsichtig, als wolle der Winter nur vorsichtig anklopfen.

Paul kam wie immer gegen neun. Doch diesmal blieb er vor der Tür stehen.
Sie war nur angelehnt.

Er trat ein.
„Herr Brenner?“ rief er vorsichtig.
Keine Antwort.

Im Wohnzimmer saß Wilhelm im Lehnstuhl. Die Decke über den Beinen, die Taschenuhr in der Hand, das Notizbuch auf dem Schoß. Die Augen geschlossen, der Atem still.

Paul trat näher.
Ein friedlicher Ausdruck lag auf Wilhelms Gesicht.

Als hätte er jemanden wiedergesehen.
Vielleicht Anna.
Vielleicht Rex.

Auf dem Tisch lag ein Brief, mit Pauls Namen darauf.


Lieber Paul,

wenn du das liest, bin ich wohl gegangen.
Nicht aus Schwäche, sondern weil die Zeit reif war.
Ich danke dir. Für dein Zuhören. Für dein Dasein. Für deine Freundschaft.

Du hast mir das zurückgegeben, was ich lange verloren glaubte: den Glauben daran, dass jemand bleiben kann.
Rex war mein letzter Kamerad – und du wurdest mein nächster.

Lass mich dir etwas sagen: Die Welt braucht keine lauten Helden. Sie braucht Menschen, die still tragen, was andere nicht mehr sehen wollen.
So einer bist du.

Nimm das Notizbuch. Mach damit, was du willst. Schreib weiter. Oder lies es, wenn du alt bist.
Aber vergiss nicht: Auch Stille kann laut erinnern.

In tiefer Freundschaft,
Wilhelm Brenner


Zwei Wochen später wurde das Gedenkschild am Birnbaum enthüllt.
Der Bürgermeister sprach ein paar Worte, die Dorfkinder sangen ein altes Herbstlied, und Paul stand mit geradem Rücken vor dem Stein.

In der Hand hielt er die Zeichnung, die er selbst gemacht hatte: Wilhelm und Rex, Seite an Seite auf der Bank, der Hund mit erhobenem Kopf, Wilhelm mit leicht geneigtem Blick – als würde er gerade etwas erzählen.

Am Fuß des Bildes stand:

„Der letzte Kamerad – und was bleibt.“

Die Bank wurde restauriert, die Wiese gepflegt, das Grab mit Immergrün bepflanzt.
Und oft sah man einen Jungen dort sitzen.

Mit einem Notizbuch.
Manchmal schreibend.
Manchmal nur still.

Aber immer verbunden.

Und wer ganz genau hinhörte, meinte an windstillen Tagen ein leises Hecheln zu hören.
Oder das Klacken einer alten Taschenuhr.

Und so lebten sie weiter – der Hund, der Soldat, der Junge.
Nicht in den Straßen.
Sondern in den Herzen.

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