🐾 Teil 7 – Die letzte Visite
Es war ein stiller Sonntag, als Elisabeth zum ersten Mal seit Jahren wieder das Ortsschild verließ.
Im Auto auf dem Beifahrersitz lag ein alter, geflochtener Korb – darin Notizbuch, Thermoskanne, Lavendelzweige und ein kleines Holzkreuz mit Emils Namen.
Sie fuhr nicht weit. Keine große Reise, kein „Norwegen irgendwann“. Nur ein paar Dörfer weiter, auf die andere Seite des Hügels, wo früher eine Tierarztpraxis gewesen war – ihre alte Praxis.
Die Tür war zu. Das Gebäude leer. Die Fenster verstaubt.
Doch das Messingschild hing noch da:
„Dr. med. vet. Elisabeth Rehfeld – Kleintierpraxis“
Sie strich mit der Hand darüber, spürte die Rillen der Buchstaben wie alte Bekannte.
Und dann lächelte sie – nicht traurig, sondern still.
Denn etwas in ihr hatte sich gelöst.
Nicht mit einem Knall.
Sondern mit der Weichheit eines Abschieds, der nicht mehr schmerzt.
—
Sie umrundete das Haus, ging in den kleinen Garten dahinter.
Dort, wo sie früher manchmal mit Welpen gespielt hatte, stand noch eine alte Holzbank, halb überwuchert von Efeu.
Sie setzte sich.
Und wartete.
Nicht auf jemanden.
Nur auf das Gefühl, dass es richtig war, hier zu sein.
Der Wind fuhr leicht durch die Bäume. Irgendwo rief ein Kuckuck.
Elisabeth holte ihr Notizbuch hervor.
Schlug eine neue Seite auf.
„Die letzte Visite“, schrieb sie.
„Ich bin zurück. Nicht als Ärztin. Sondern als Mensch, der das Heilen neu lernen musste.“
Dann hielt sie inne. Schaute in die Ferne.
Und erinnerte sich an jeden Blick, jede Pfote, jedes letzte Bellen.
—
Auf dem Heimweg hielt sie an einem kleinen Hofladen.
Drinnen roch es nach frischem Brot und Heu.
Hinter der Theke stand ein Junge, vielleicht fünfzehn, mit verstrubbeltem Haar und einem freundlichen Blick.
„Sie suchen was Bestimmtes, gnädige Frau?“
Sie zögerte. Dann lächelte sie.
„Haben Sie vielleicht… Hundefutter?“
„Klar. Für welchen Hund denn?“
„Noch für keinen. Aber ich glaub, es wird bald wieder einer kommen.“
—
Am Abend stellte sie die Futterdose in die Speisekammer.
Ganz vorn.
Nicht aus Nostalgie.
Sondern aus Hoffnung.
Dann ging sie in den Garten, setzte sich an Emils Grab, das nun von ersten Frühblühern umgeben war.
„Ich hab heute deine Geschichte erzählt“, flüsterte sie.
„In meinem alten Garten. Und weißt du was? Ich hab nicht geweint.“
Der Himmel färbte sich rosa.
Ein Vogel landete auf dem Zaun.
Und für einen Moment war alles wieder im Gleichgewicht – wie bei einer Visite, wenn der letzte Blick sagt: Es wird gut. Du darfst loslassen.