🐾 Teil 8 – Ein Pfotenabdruck im Ton
Zwei Wochen nach ihrem Besuch in der alten Praxis bekam Elisabeth Post vom Lesekreis.
Ein Kuvert, schlicht und weiß, aber mit einem kleinen Stempel in Form einer geöffneten Buchseite.
Darin ein Brief und ein Gutschein für einen Töpferkurs – handgeschrieben:
„Liebe Frau Rehfeld,
Ihre Geschichte über Emil hat uns tief berührt.
Wir möchten Sie einladen, Teil unseres Projekts ‚Geschichten in Ton‘ zu werden – Menschen erzählen, gestalten, und lassen Erinnerungen sichtbar werden.
Ein Pfotenabdruck, ein Symbol, ein stilles Zeichen – was immer Emil für Sie war.
Herzlich,
Ihr Lesekreis-Team“
—
Sie hatte nie mit Ton gearbeitet.
Nie gebastelt, nie geformt. In ihrer Welt ging es immer um Haut, Fell, Knochen. Um Präzision – nicht Gefühl.
Doch etwas in ihr wollte es versuchen.
Also stand sie an einem Mittwochnachmittag in einer kleinen Werkstatt am Stadtrand, der Geruch von Lehm und warmem Wasser in der Luft, die Ärmel hochgekrempelt, die Hände zögerlich über der Masse.
„Wissen Sie schon, was Sie machen möchten?“, fragte die Kursleiterin – eine ruhige Frau mit geflochtenem Haar und verschmierten Fingern.
Elisabeth nickte langsam.
„Einen Pfotenabdruck. Nicht von Emil direkt – aber so, wie ich ihn spüre.“
Sie begann zu formen.
Rund. Sanft. Ohne Eile.
—
Stunde um Stunde entstand ein kleines Medaillon.
In der Mitte: ein Pfotenabdruck – nicht perfekt, leicht verschoben.
Daneben ritzte sie mit einem Holzstab drei Wörter hinein:
„Ich war da.“
Die Kursleiterin trat näher.
„Das ist schön“, sagte sie leise.
„Das ist wahr“, antwortete Elisabeth.
—
Zu Hause legte sie das gebrannte Tonstück auf Emils Grab.
Kein großes Denkmal. Kein Kitsch.
Nur das:
Ein Abdruck, der nie gesetzt wurde – aber dennoch blieb.
Sie setzte sich daneben, zog die Beine an und legte das Kinn aufs Knie.
„Weißt du, Emil“, flüsterte sie, „ich dachte immer, nur Menschen könnten uns retten.
Aber vielleicht… warst du mein Arzt.“
Der Wind fuhr durch die Äste, als wollte er nicken.
—
Am nächsten Tag bekam sie Besuch.
Sophie Behrens, Ralfs Tochter, stand vor der Tür – mit einem alten Rucksack und schüchternem Lächeln.
„Ich wollte einfach… sehen, wer meinen Vater so bewegt hat.“
Elisabeth bat sie herein.
Sie sprachen stundenlang. Über Ralf. Über Emil. Über Dinge, die gesagt werden mussten – und die nie eine Bühne gefunden hatten.
Am Ende stand Sophie am Grab.
„Ich hätte gern einen Hund gehabt wie ihn“, sagte sie.
„Ich hoffe, ich werde eine wie ihn finden“, sagte Elisabeth.
Und sie meinte es.