Der letzte Spaziergang mit Frieda | Ein letzter Spaziergang, ein letzter Blick – und die Liebe, die trotzdem blieb

🔹 Teil 8 – Der Brief ans Tierheim

Zwei Wochen später. Ein stiller Dienstagmorgen.

Maria saß am Küchentisch, die Sonne warf weiche Lichtflecken auf das Wachstischtuch. Max lag wie immer auf dem Teppich im Flur, das Halstuch mit den Sonnenblumen leicht verrutscht. Er schnarchte leise.

Maria hatte sich vorgenommen, endlich das zu tun, was sie schon seit Tagen in sich trug – einen Brief schreiben. Nicht auf dem Handy, nicht am Computer. Sondern von Hand, mit Tinte, wie früher. Sie legte das karierte Briefpapier vor sich, zog ihre alte Lieblingsfüller aus der Schublade und atmete tief ein.

Dann begann sie zu schreiben.


Liebes Team vom Tierheim Landshut,

ich möchte Ihnen auf diesem Wege von Herzen danken. Nicht nur für Max – der mittlerweile meine Kaffeemaschine besser kennt als ich selbst. Sondern für das, was Sie mir zurückgegeben haben: das Gefühl, wieder gebraucht zu werden. Und nicht nur zu funktionieren, sondern zu leben.

Vor vier Wochen musste ich meine Hündin Frieda gehen lassen. Sie war 14 Jahre lang mein Schatten, mein Trost, mein letzter Halt. Sie hat mich durch die Stille der Rente begleitet, durch Einsamkeit, durch kleine und große Ängste. Sie war… mehr als ein Hund. Sie war mein Zuhause mit vier Pfoten.

Ihr letzter Weg war schwer. Aber sie durfte in Würde gehen. Und ich durfte bei ihr sein.

Nach ihrem Tod war es, als hätte jemand das Licht ausgeschaltet. Und obwohl ich wusste, dass ich sie nicht ersetzen kann – war da plötzlich dieser Brief von Ihnen. Und Max.

Als ich ihn zum ersten Mal sah, war da nichts Spektakuläres. Kein Bellen. Kein freudiges Hüpfen. Nur ein Blick. Einer, der sagte: Ich habe auch etwas verloren.

Seitdem füllen wir gemeinsam die Lücken.

Er ist laut, er klaut mir das Frühstücksbrot, und er kann Türen öffnen. Ich wusste nicht, dass ich noch lachen kann, wenn jemand mir die Butter vom Tisch stiehlt.

Ich wusste nicht, wie leicht ein alter Hund ein müdes Herz wieder zum Tanzen bringen kann.

Ich wollte Ihnen einfach sagen: Danke.

Im Namen von Frieda. Im Namen von Max. Und in meinem eigenen.

Bleiben Sie so, wie Sie sind.

In Dankbarkeit,
Maria Voss


Maria legte den Stift beiseite, faltete den Brief sorgfältig und schob ihn in den Umschlag. Auf dem Weg zum Briefkasten machte Max einen kleinen Spaziergang mit – nicht weil er musste, sondern weil er immer bei ihr sein wollte.

Er trottete langsam neben ihr her, blieb bei jeder Ecke stehen, als wollte er sich vergewissern, dass die Welt noch dieselbe war. Maria hatte ihm längst erlaubt, der neue Mittelpunkt ihres kleinen Universums zu werden.

Am Briefkasten hielt sie kurz inne, strich mit dem Finger über die Kante des Umschlags. Dann ließ sie ihn hineinfallen.

Sie spürte, wie etwas in ihr ruhiger wurde.

Zuhause stand sie vor der Kommode. Ganz oben, zwischen Teelichtern und alten Fotos, lag der gerahmte Brief von Frieda. Daneben: ihr Halsband, die kleine Holzurne, und jetzt – Max’ erste Kauknochenverpackung. Aufgehoben, weil es so herrlich verrückt war, dass er den ganzen Knochen samt Plastik in drei Minuten gefressen hatte (der Tierarzt hatte ihn danach zum „Wunderhund“ erklärt).

Maria setzte sich und begann, ein neues Fotoalbum anzulegen. Sie nannte es “Zweites Glück“. Das erste Bild: Max mit Sonnenblumenhalstuch, vor dem Apfelbaum.

Am Nachmittag klingelte es.

Vor der Tür stand Frau Weber. In der Hand ein Topf mit Geranien.

„Ich dachte, Sie brauchen ein bisschen Farbe. Und… vielleicht einen Spazierpartner?“

Sie lächelte verlegen. „Ich hab ja keinen Kater mehr, aber… Bewegung tut gut.“

Maria lud sie auf den Balkon ein. Max sprang zur Begrüßung auf, stubste die ältere Dame leicht an – sie wich erschrocken zurück, lachte dann. „Der ist aber nicht gerade zurückhaltend.“

„Er nimmt sich, was er braucht“, sagte Maria trocken. „Wie alle mit Herzschaden.“

Am Abend schrieb sie eine kleine Notiz, die sie auf den Kühlschrank klebte:

“Wenn du denkst, du bist zu alt für Neuanfänge – adoptier einen alten Hund.”

Darunter: Ein Polaroid von Max, mit verdreckter Schnauze und dem gestohlenen Brotkanten im Maul.

Sie musste laut lachen.

Und wieder, wie so oft in den letzten Tagen, dachte sie:

Frieda hätte ihn gemocht.

Zwei Tage später kam Post vom Tierheim.

Ein Antwortbrief. Kurz, handgeschrieben:


Liebe Frau Voss,

Ihr Brief hat unser ganzes Team berührt. Wir haben ihn an der Pinnwand im Pausenraum aufgehängt, damit jeder ihn lesen kann – auch die, die oft nur die schwierigen Seiten dieses Berufs erleben.

Wir freuen uns, dass Max ein Zuhause gefunden hat. Aber noch mehr freuen wir uns, dass Sie ihn gefunden haben.

Falls Sie Lust haben – wir suchen freiwillige Vorlesepaten für unsere älteren Hunde. Es tut ihnen gut, wenn jemand ruhig bei ihnen sitzt und spricht. Vielleicht wäre das etwas für Sie?

Alles Liebe,
Ihr Team vom Tierheim Landshut


Maria legte den Brief neben den von Lena. Dann blickte sie zu Max, der im Flur wieder auf seinem Rücken lag, alle Viere von sich gestreckt.

„Was meinst du?“ flüsterte sie. „Wollen wir anderen auch noch ein bisschen Mut machen?“

Max hob den Kopf. Und sein Schwanz klopfte zweimal auf den Boden.

Ja.

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