Es dauerte keine zehn Minuten, bis der Schlüssel meiner Tochter in meinem Wohnungsschloss drehte. Sie fand mich im Bad, verwirrt, aber ansprechbar, mit einer Beule, die aussah, als hätte ich versucht, mit der Wand zu diskutieren. Der Arzt nannte es eine Gehirnerschütterung und schüttelte den Kopf, wie knapp das alles gewesen sei.
Am Abend lag ich wieder in meinem eigenen Bett, benebelt von Schmerztabletten, aber bei Bewusstsein. Mein Handy lag neben mir, das Display dunkel. Mit Mühe entriegelte ich es.
Oben in der Chatliste leuchtete Hertas Name. Ich öffnete das Fenster, sah ihre letzten Nachrichten und tippte, langsam, sehr langsam: „Bin wieder da. Du hast mich gerettet, ohne es zu merken.“
Die Antwort kam fast sofort, als hätte sie die ganze Zeit mit geöffnetem Chat dort gesessen. „Na, dann sind wir jetzt quitt“, schrieb sie. „Du hast mich aus der Badewanne geholt, ich dich vom Badezimmerboden. Und dafür mussten wir nicht einmal unsere Inseln verlassen.“
Ich lachte laut, obwohl mir der Kopf weh tat. Tränen liefen mir über die Schläfen ins Kissen. Nicht vor Schmerz, sondern vor dieser verrückten, zähen Freude, die nur alte Freundschaften kennen.
Die Freude darüber, dass wir es noch einmal geschafft hatten, aneinander festzuhalten in einer Welt, die so schnell ist, dass alte Menschen wie wir oft wie unscharfe Randfiguren wirken.
Seit diesem Tag kleben zwei Zettel an zwei Kühlschränken in zwei Städten. Unsere Kinder kennen jetzt unsere Abmachung, die Ärzte auch.
Die Nachbarin, die Herta Suppe bringt, hat meine Nummer im Handy gespeichert. Der junge Mann aus dem zweiten Stock, der mir neulich die Einkaufstasche hochgetragen hat, weiß, dass in Wien eine Frau lebt, die jeden Morgen auf mein „bin da“ wartet.
Manchmal liege ich abends im Bett und sehe das Display auf dem Nachttisch. Zwei alte Frauen, zwei Handys, ein paar lächerlich kurze Nachrichten.
Und doch ist da etwas Großes: ein unsichtbares Netz über Städte, Treppenhäuser, Krankenhäuser hinweg. Ein leises, aber entschlossenes „Du bist nicht allein“, das zweimal am Tag aufleuchtet.
Heute Abend blinkt wieder eine Nachricht auf. „Morgen Kaffee per Video?“, schreibt Herta. „Ich sitze am Fenster, du auch. Wir tun so, als wären wir am Fluss.“ Ich tippe zurück: „Abgemacht. Und diesmal bitte ohne Sturz, ja?“ Ein lachendes Emoji, dann ein rotes Herz.
Solange eine von uns noch tippen kann, denke ich, während ich das Handy zur Seite lege, wird keine von uns wirklich allein sein. Und vielleicht, ganz vielleicht, sind wir damit gar nicht so unsichtbar, wie wir immer glauben.






