Der Schattenhund im Hof | Er wartete im Schatten – doch nur eine kleine Ente glaubte noch an sein Herz

Teil 7: Wenn das Alte zurückkehrt

Die Kastanie rauschte in jener Nacht anders.

Nicht lauter, nicht stärker – nur wacher. Als würde sie spüren, dass etwas in Bewegung geraten war. Etwas, das lange geschlafen hatte.

Sam lag in seiner Hütte, halb im Schatten, halb im Licht der kleinen Hoflampe. Er schlief tief. Seine Pfoten zuckten im Traum. Ab und zu stieß er ein leises Geräusch aus, kaum mehr als ein Hauch. Und wer genau hinsah, konnte in seinem Gesicht etwas erkennen, das an Lächeln erinnerte – oder vielleicht nur an Erinnerung.

Lilo schlief dicht bei ihm. Ihre Brust hob sich in gleichmäßigem Rhythmus. Sie war kleiner geworden, feiner fast, als hätte sich all ihre Lebenskraft auf diesen einen Platz konzentriert: bei ihm. Seit Paul zurück war, hatte sich in ihr etwas gelöst – nicht weniger Treue, aber weniger Anspannung. Als hätte sie einen Teil der Wache abgegeben.

Und Paul?

Er lag auf dem alten Sofa im Gästezimmer, eine Wolldecke bis zum Kinn, den Brief von damals auf der Brust. Doch auch er fand keinen rechten Schlaf. Denn da war etwas in ihm, das ihn nicht losließ.

Eine Stimme.

Ein Geräusch.

Ein Schatten.


Am nächsten Morgen war die Straße still. Kein Auto. Kein Fußgänger. Nur Nebel, der sich über das Pflaster legte, als wolle er das Dorf noch ein wenig länger zudecken.

Paul stand früh auf.

Noch bevor Frau Lichtenberg die Kaffeemaschine brummen ließ, saß er im Hof, ein dicker Wollpulli über den Schultern. Sam kam langsam aus der Hütte. Steif, aber mit erhobenem Kopf. Und Lilo watschelte dicht hinter ihm her, wie immer – fast feierlich.

„Ich hab heute Nacht von damals geträumt“, sagte Paul leise.
„Von dem Tag, an dem sie ihn mir weggenommen haben.“

Frau Lichtenberg setzte sich zu ihm.
„Es war nicht deine Schuld.“

„Ich weiß. Aber manchmal reicht das nicht.“
Sie nickte nur.


Gegen Mittag kam der Anruf.

Frau Lichtenberg nahm ab, Paul saß gerade mit Lilo auf der Bank, bot ihr ein Stück Apfel an. Sam döste neben dem warmen Pflaster, die Ohren leicht zuckend.

„Hier spricht das Veterinäramt Leipzig-Land. Frau Lichtenberg?“

„Ja?“

„Uns wurde ein nicht gemeldeter, vermutlich herrenloser Hund auf Ihrem Grundstück gemeldet. Wir möchten uns das ansehen.“

„Was? Von wem?“
„Das dürfen wir nicht sagen. Wir kommen morgen früh.“

Sie legte langsam auf.

Ihr Herz pochte. Nicht aus Angst, sondern aus Wut.


Paul stand auf, als er ihren Blick sah.

„Was ist passiert?“
Sie erzählte es ihm.

Langsam. Mit Worten, die wie Steine fielen.

Paul kniff die Lippen zusammen. Sam hob den Kopf. Lilo blieb stumm – aber sie rückte näher an den Hund, als spürte sie es zuerst: Gefahr.


Am Abend beriet sich Frau Lichtenberg mit Paul.

„Wenn sie ihn mitnehmen wollen…“, begann sie.
„Dann nicht lebend“, sagte Paul. „Nicht wieder.“

„Er ist gechippt“, murmelte sie. „Aber auf keinen Namen. Damals war das nicht Pflicht. Und ich habe ihn nie gemeldet.“

„Wir müssen zeigen, dass er nicht herrenlos ist.“

„Ich bin seine Halterin.“

„Und ich bin sein Mensch.“

Sie sah ihn an.

„Dann müssen wir das beweisen.“


In der Nacht schrieb Paul eine Erklärung. Handschriftlich. Zwei Seiten. Darin stand alles: Wann er Sam gefunden hatte. Wie sie zusammengelebt hatten. Warum sie getrennt wurden. Und wie sie sich wiedergefunden hatten.

Frau Lichtenberg fügte eine eidesstattliche Erklärung bei. Ihre Unterschrift zitterte leicht, aber sie war fest.

Lilo war währenddessen nicht von Sams Seite gewichen.

Und Sam – Sam war ruhig. Nicht wie einer, der müde ist, sondern wie einer, der etwas verstanden hat, das größer ist als er selbst.


Am nächsten Morgen war der Himmel blank. Kein Nebel, keine Wolken.

Die Sonne lag kalt auf dem Hof.

Um Punkt neun fuhr ein silberner Wagen vor. Zwei Männer stiegen aus. Einer jünger, mit Klemmbrett. Der andere grauhaarig, mit ruhigen Bewegungen. Sie trugen Jacken mit dem Wappen des Landkreises.

„Frau Lichtenberg?“

Sie trat hinaus.

„Das bin ich.“

„Wir haben Hinweise auf einen nicht gemeldeten Hund auf diesem Grundstück erhalten.“

„Sie meinen Sam.“

„Wenn Sie so freundlich wären – wo befindet sich das Tier?“

Frau Lichtenberg zeigte zur Hütte.

Sam lag dort. Wach. Aber ruhig.

Lilo stand direkt vor ihm.

Die Männer traten näher. Der jüngere runzelte die Stirn.

„Der Hund sieht alt aus.“
„Er ist alt“, sagte Frau Lichtenberg.
„Was ist mit der Ente?“
„Sie gehört zu ihm.“

Paul trat hinzu. Reichte dem älteren Mann die Mappe mit den Erklärungen.

„Ich bin der Vorbesitzer. Ich habe ihn vor Jahren verloren. Und wiedergefunden. Alles steht drin.“

Der Mann las. Langsam. Zeile für Zeile.

Dann blickte er auf.

„Das ist sehr ungewöhnlich.“

„Aber wahr“, sagte Paul.


Nach einer Weile nickte der ältere der beiden langsam.

„Er bleibt hier. Unter Beobachtung, aber hier. Ich sehe keinen Grund, ihn zu entfernen.“

Der Jüngere wirkte unzufrieden. „Aber er ist nicht gemeldet…“
„Dann melden wir ihn jetzt“, sagte Frau Lichtenberg. „Sofort.“


Als die Männer fuhren, atmete der Hof auf.

Wirklich. Als hätte selbst der Wind die Schultern gesenkt.

Paul lachte leise, ungläubig.

Lilo schnatterte. Einmal, hoch.

Und Sam… Sam stand auf, trat drei Schritte in die Sonne – und bellte. Tief. Rau. Aber da.


Und als alle sich wieder gesetzt hatten, lag plötzlich ein dritter Schatten vor der Hütte – rund, grau, mit struppigem Fell – und niemand wusste, woher der neue Hund gekommen war.

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