Die Bank am Fluss | Eine alte Schäferhündin, ein Fluss und die Enten, die Erinnerungen für immer bewahrten

🐾 Teil 5: Das Horn und die Stille

Das Horn der Fähre rollte wie ein tiefer Atem über das Wasser.
Miras Brust zuckte, als fände der Klang einen verborgenen Takt.
Gertrud hielt die Stirn an die Stirn der Hündin und wartete auf die Antwort.
Sie kam zögernd, als müsse die Luft erst einen Schlüssel drehen.
Dann hob und senkte sich der Brustkorb wieder, kurz und flach.

Niemand sprach.
Die Männer hielten die Bank noch immer in der Luft.
Raimund stand mit der Decke in der Hand neben dem Rad der Karre.
Lior blickte zwischen Gertrud und dem Fluss hin und her.
Stipprich stand im nassen Gras und blinzelte langsam.

Gertrud holte das Telefon aus der Manteltasche.
Die Finger waren kalt, doch die Nummer saß in ihnen.
Dr Ragna Fellhauer meldete sich, die Stimme ruhig und nah.
Sie sei in der Nähe und drehe um.
Gertrud sagte nur, der Atem sei wieder da, aber er suche.

Die Männer senkten die Bank behutsam auf den Kies.
Das Holz knarrte, als hätte es etwas aufbewahrt, das es nicht zeigen wollte.
Raimund breitete die Decke aus.
Sie schoben sie unter Miras Flanke, ohne den Rhythmus zu stören, der sich mühsam hielt.
Lior kniete auf der anderen Seite und legte seine Hand auf die Schulter der Hündin.

Die Enten rückten näher an den Rand.
Sie bildeten keinen Kreis und doch sah es so aus.
Ihre Körper schnitten das Wasser in kleine, gleichmäßige Linien.
Das leise Scharren ihrer Füße im Schlamm hatte einen beruhigenden Klang.
Miras Ohr zuckte, als griff sie nach diesem Geräusch.

Der Wagen der Tierärztin bog auf den Uferweg.
Sie war schon im Gehen, bevor der Motor ganz stand.
Ihr Blick suchte den Atem, nicht die Worte.
Das Stethoskop glitt kurz über den Rippenbogen und verschwand wieder.
Sie sprach leise von Schonung und einem Tropfen für den Rhythmus.

Der Tropfen lag unter der Zunge wie ein Versprechen.
Nach einer Minute wurde die Luft runder.
Gertrud sah zur Bank, deren Lehne fiebrig glänzte.
Das eingeritzte G stand da, als habe es einen Dienst zu verrichten.
Stipprich hob den Kopf, als er den Namen hörte, den niemand aussprach.

Dr Fellhauer sah den Pegelstand und die Männer vom Bauhof.
Sie nickte kurz.
Die Bank müsse für ein paar Tage höher stehen.
Gertrud sah auf das Holz und spürte einen Riss, der nicht sichtbar war.
Raimund legte die Hand an ihre Schulter und sagte, man bringe sie nur in Sicherheit.

Die Männer trugen die Bank auf die obere Wiese.
Raimund ging voraus und zeigte einen Platz neben der Weide, etwas entfernt vom Weg.
Er legte ein kleines Kreidezeichen an die untere Latte, damit niemand vergesse, wo sie hingehörte.

Die Bank senkte sich mit einem kurzen Ton, der wie ein Seufzer klang.
Gertrud folgte mit den Augen, als würde dort ein Teil ihres Tages ausladen.

Mira atmete ruhiger.
Das Zittern hatte sich von der Flanke in die Pfoten zurückgezogen.
Die Tropfen wirkten wie eine Hand, die von innen streichelte.
Dr Fellhauer sprach mit Gertrud im Halbschatten der Weide.
Keine langen Wege, keine Treppen, Ruhe und sanfte Übergänge.

Raimund brachte die Karre.
Sie hoben Mira, langsam und ohne Hast.
Lior lief mit einem kleinen Plastikeimer voraus, in dem ein Rest Haferflocken lag.
Er streute sie höher ins Gras, weit genug vom Rand, damit die Enten folgen konnten, ohne an die Strömung zu geraten.
Die Tiere kamen tatsächlich, nicht gierig, eher prüfend, als begleiteten sie etwas, das sie verstanden.

Mira sah zu ihnen hinüber.
Ihre Pupillen weiteten sich ein wenig.
Der Atem nahm den Takt der feinen Bewegungen an, die das Wasser zeichnete.
Gertrud fühlte, wie ihr eigener Puls sich anpasste.
Sie merkte, wie stiller Trost nicht aus Sätzen bestand, sondern aus Wiederholungen.

Sie erreichten die Rampe an den Stufen.
Raimund hielt, Lior stützte, Dr Fellhauer achtete auf den Brustkorb.
Ein leises Quaken stand im Hintergrunde wie eine Melodie, die nicht aufdringlich werden wollte.

Mira glitt hinauf und legte sich im Flur auf den Teppich.
Der Geruch von Bohnerwachs mischte sich mit der frischen, feuchten Luft vom Fluss.

In der Wohnung war es dunkel genug, um die Lampen nicht einzuschalten.
Gertrud setzte Wasser auf und stellte zwei Tassen hin.

Raimund trank seinen Tee in kleinen Schlucken, als dürfe er die Stille nicht stören.
Lior saß auf der Kante des Stuhls und hielt den Eimer mit beiden Händen.
Dr Fellhauer schrieb die Zeiten auf ein neues Blatt, glatter als das erste.

Sie sprach nicht von Abschieden, nur von Grenzen.
Der Körper werde mehr Pausen verlangen.
Es werde Tage geben, die offen und freundlich seien.
Es werde Stunden geben, die schmal würden.
Man könne beide tragen, wenn man sie kenne.

Gertrud nickte.
Sie strich Mira über die Stirn und spürte die alte Wärme.
Die Augen der Hündin waren klar.
Darin lag kein Gefallen, nur Teilhabe.
Es war genug.

Am Nachmittag ließ der Regen nach.
Die Geräusche der Stadt wurden wieder dünner.

Vom Fluss her kam ein fernes Kinderlachen, gedämpft wie durch Stoff.
Die Enten blieben unten in der Bucht, doch ihre Bewegungen schrieben noch immer Linien in die Luft.
Gertrud sah sie, ohne am Fenster zu stehen.

Lior stand auf.
Er müsse nach Hause, aber er komme am Abend noch einmal vorbei.
Er stellte den Eimer auf die Anrichte.
Gertrud bat ihn, die Haferflocken zu behalten.
Füttere sie du, wenn ich es nicht schaffe.

Raimund half, die Rampe im Hausflur anzulehnen.
Er versprach, morgen die schmalere zu bringen.
Sein Blick fiel auf Günters Mütze am Haken.
Er fragte nicht, aber in seinem Blick lag Verständnis.
Gertrud legte die Hand kurz darauf.
Leichte Dinge tragen schwer.

Als sie allein waren, hörte man nur Miras Atem und das leise Knacken der Heizkörper.
Gertrud setzte sich auf den Boden und lehnte den Rücken an den Türrahmen.
Sie zählte nicht mehr.
Sie wartete mit der Hündin in einem Raum, der keine Uhr hatte.
Manchmal ist Warten die einzige Form von Tun.

Gegen Abend wurde der Fluss wieder lauter.
Der Wind trug das Geräusch über den Hof.
Gertrud öffnete die Balkontür einen Spalt, damit die Luft sich mischen konnte.
Mira hob den Kopf und schnupperte.
In ihrem Blick stand eine Frage, die keine Antwort brauchte.

Unten im Gras bewegte sich etwas Helles.
Gertrud trat an die Brüstung.

Drei Enten standen am Zaun der kleinen Hofwiese, als wären sie versehentlich aufgetaucht.
Vorn der alte Erpel, dessen Schnabel die helle Schramme trug.
Sie schauten nicht nach Futter.
Sie schauten nach oben.

Gertrud hielt den Atem an.
Sie dachte an das grün graue Tuch, an das G in der Lehne und an das Horn der Fähre.

Manche Dinge finden einander, wenn man still bleibt.
Sie sagte leise den Namen der Hündin.
Mira hob sich, so weit es ging, und legte den Kopf auf den Rand der Türschwelle.

Die Enten regten sich nicht.
Stipprich machte eine kleine, vorsichtige Bewegung mit dem Hals, als nichte er.
Aus der Bucht drang ein fernes Scharren, doch hier war die Luft weich.
Gertrud spürte, wie ihr die Augen brannten.
Sie fühlte keine Tränen, nur eine Wärme, die bis in die Finger lief.

Sie legte die Mütze neben Mira, als sei sie ein Kissen.
Dann griff sie in die Schale mit Reis und Hühnchen, die auf dem Tisch stand.
Sie zerdrückte ein paar Körnchen und warf sie vorsichtig über die Brüstung in das Gras.
Die Enten bewegten sich kaum.
Sie blieben einfach da und taten fast nichts, und gerade das war eine Antwort.

Die Dämmerung kam leise.
Das Licht auf dem Fluss wurde zu Blei.
Miras Atem blieb ruhig, nicht stark, doch beständig.

Gertrud stand lange am Geländer und hörte zu.
Unten hob Stipprich einmal den Schnabel, als wolle er etwas sagen, und ließ ihn wieder sinken.

Als die erste Straßenlaterne anging, schob sich ein Schatten an der Hofmauer entlang.
Lior trat durch das Tor und blieb stehen.
Er sah zu den Enten und dann nach oben.
Gertrud hob eine Hand.
Er hob die seine.

Mira schloss die Augen.
Ihr Kopf blieb auf der Schwelle.
Die Luft roch nach nassem Gras und nach etwas, das blieb.

Gertrud dachte, der Abend sei jetzt vollständig.
Da drehte Mira plötzlich den Kopf, als hätte sie einen Ruf gehört, den die Menschen nicht vernahmen.

Der Atem setzte kurz aus.

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