Die Bank am Fluss | Eine alte Schäferhündin, ein Fluss und die Enten, die Erinnerungen für immer bewahrten

🐾 Teil 8: Die Rückkehr zum Ufer

Der Morgen war klar und kühl. Nebel lag über den Elbwiesen, dünne Schleier, die sich bewegten, als wären sie lebendig. Gertrud zog das Wolltuch enger um die Schultern und ging den Weg hinunter, Schritt für Schritt, als folge sie einer unsichtbaren Spur.

Ihre Gelenke waren schwer, doch etwas in ihr trieb sie nach vorn. Die Bank stand noch oben auf der Wiese, von den Männern vom Bauhof hochgetragen, damit das Wasser sie nicht erreichte. Unten am Rand war nur der Abdruck geblieben, ein dunkler Schatten im Gras.

Sie blieb kurz stehen, sah auf diesen Abdruck und spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Es war, als habe die Bank selbst einen Körper hinterlassen, der nun fehlte.

Die Weide rauschte, das Wasser murmelte, und in der Ferne hörte man die Fähre anlegen. Das Geräusch war vertraut, fast tröstlich, aber es schnitt auch in die Stille hinein, die Mira hinterlassen hatte.

Gertrud setzte sich auf die Bank oben an der Wiese. Von hier hatte sie den Fluss im Blick, doch der Abstand fühlte sich falsch an, als sitze sie auf einem Platz, der ihr nicht gehörte.

Die Lehne war kalt, und als sie mit den Fingern über das Holz strich, fand sie das eingeritzte G. Es war dasselbe Zeichen wie früher, doch in der Höhe wirkte es fremd. Sie legte die Hand flach darauf, als wolle sie etwas festhalten, das zu entgleiten drohte.

Ein Rascheln zog ihre Aufmerksamkeit zum Wasser. Die Enten kamen aus der Bucht, in ruhigen Bewegungen, ohne Hast. Stipprich führte sie an, sein schiefer Schnabel glänzte im Morgenlicht.

Gertrud bemerkte, wie ihr Atem ruhiger wurde, als sie ihn sah. Er schwamm dicht ans Ufer, neigte den Kopf und blieb still. Es war, als erkenne er die Leerstelle auf dem Platz neben ihr.

Sie holte den Beutel mit Haferflocken aus der Tasche. Langsam streute sie ein paar Körnchen ins Gras, nicht ins Wasser, als wolle sie die Tiere näher zu sich rufen.

Die jungen Enten zögerten, doch Stipprich kam einen Schritt aus dem Wasser. Er setzte vorsichtig seine Füße auf den Rand, als prüfe er, ob die Erde ihn tragen würde. Gertrud hielt die Luft an. Es war das erste Mal, dass er so nah kam.

Sie sprach leise, fast flüsternd. Worte ohne Bedeutung, doch getragen von einer Wärme, die aus ihrer Kehle floss. Der Erpel blieb stehen, hörte ihr zu, als sei er gekommen, um etwas entgegenzunehmen, das nicht sichtbar war.

Gertrud spürte eine Bewegung in sich, die sie lange nicht gekannt hatte. Es war keine Freude, keine Trauer, sondern eine Mischung, die schwer zu benennen war. Vielleicht war es Erinnerung, die lebendig blieb.

Lior kam den Uferweg hinunter. Er hatte sein Fahrrad geschoben und ein kleines Päckchen in der Hand. Als er Gertrud sah, blieb er unsicher stehen. Sie winkte ihn heran, und er setzte sich neben sie. Das Päckchen entpuppte sich als eine kleine Schale, in der Brotkrumen lagen.

Er wollte helfen, sagte er leise, damit die Enten nicht vergessen, dass jemand auf sie wartete. Gertrud nickte und legte eine Hand auf seine Schulter. Sie spürte, wie sehr der Junge mitfühlte, und dass er die Schwere kannte, auch wenn er noch jung war.

Gemeinsam warfen sie die Krümel. Die Enten drängten sich enger zusammen, das Wasser kräuselte sich in feinen Wellen. Stipprich blieb näher am Ufer, als halte er Wache. Lior sah ihn lange an und flüsterte: Er passt auf. Gertrud nickte. Sie fühlte, dass der Satz stimmte, auch wenn es keine Beweise dafür gab.

Die Sonne brach durch die Wolken und legte einen goldenen Schimmer auf den Fluss. Gertrud erinnerte sich an die Sommer, in denen Mira ins Wasser gesprungen war, jung, kräftig, voller Freude.

Sie hatte es damals nicht gemocht, wenn die Hündin tropfend neben ihr herlief, aber jetzt sehnte sie sich nach diesem Bild. Es war, als hätte der Fluss ihr eine Szene zurückgegeben, die sie fast vergessen hätte.

Der Vormittag verging, ohne dass sie es merkte. Menschen kamen vorbei, nickten kurz, manche blieben stehen, andere gingen schweigend weiter. Jeder schien zu spüren, dass die Bank ein besonderer Ort war.

Gegen Mittag erhob sich Gertrud langsam. Sie strich noch einmal über das G und ging den Weg hinauf. Lior begleitete sie ein Stück, dann fuhr er davon, das Rad klapperte über den Kies. Gertrud sah ihm nach, bis er hinter der Kurve verschwand.

Zu Hause war es still. Sie setzte sich an den Küchentisch, legte das Wolltuch neben sich und zog die Mütze ihres Mannes auf. Der Stoff war weich und roch nach Vergangenheit. Sie schloss die Augen, und Bilder kamen.

Günter, wie er lachte. Mira, wie sie durch den Garten lief. Die Bank, wie sie im Schatten der Weide stand. All das floss ineinander wie die Strömung des Flusses.

Am Abend konnte sie nicht schlafen. Sie stand am Fenster und sah hinunter in den Hof. Er war leer, kein Tier zu sehen, nur das Dunkel und der Regen, der leise fiel.

Sie dachte an Stipprich, an die Enten, an die stille Prozession, die sie am Fluss begleitet hatte. Ihr Herz schmerzte, aber gleichzeitig fühlte sie eine Ruhe, die sie nicht erklären konnte. Es war, als habe sich etwas in ihr verankert, das sie nicht mehr verlor.

Die Uhr tickte, der Regen hörte auf, und eine klare Stille breitete sich aus. Gertrud legte die Hand auf das Glas und flüsterte: Morgen gehe ich wieder.

Sie wusste, dass sie den Platz am Fluss brauchte, dass er ihr Halt gab, wie Mira es getan hatte. Vielleicht konnte die Bank eine Brücke werden, ein Ort, an dem Erinnerung nicht Schmerz war, sondern Nähe.

In dieser Nacht träumte sie von einem Kreis aus Enten, die schweigend um die Bank schwammen. Stipprich stand auf der Lehne, der Kopf geneigt, als blicke er in ihre Seele. Neben ihr lag Mira, ruhig, friedlich, die Augen geschlossen. Und der Fluss rauschte leise, als singe er ein Lied, das nur für sie bestimmt war.

Als sie erwachte, war der Traum noch in ihr. Sie wusste, dass der kommende Tag schwer werden würde, doch auch, dass er sie weiterführen würde. Der Fluss war da, die Bank würde zurückkehren, und die Tiere warteten. Es war genug, um aufzustehen.

Und während die Sonne langsam über den Elbwiesen aufstieg, wusste sie, dass die Geschichte noch nicht zu Ende war.

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