🐾 Teil 7: Das Haus am Waldrand
Die Tage wurden kürzer, und der Frost kroch morgens in die Fensterrahmen.
Das Dorf wirkte stiller als sonst, fast misstrauisch.
Ich spürte die Blicke, wenn ich über den Platz ging, als wüsste jeder, dass ich Fragen stellte, die man nicht stellen sollte.
Am Abend suchte ich wieder die Brücke auf.
Silex wartete schon, seine Augen glänzten matt im schwachen Licht.
Ich setzte mich neben ihn, und wir hörten das Wasser.
Plötzlich hörte ich Schritte.
Diesmal war es nicht Irmgard.
Ein Mann trat aus der Dunkelheit, groß, die Schultern breit, der Mantel schwer.
Ich erkannte ihn sofort.
Es war derjenige, der Otto am Arm fortgezogen hatte.
Er blieb einen Moment stehen, dann sagte er, du gehst zu weit.
Seine Stimme war ruhig, aber hart.
Ich fragte ihn, warum das Dorf so schwieg.
Er lächelte kalt und antwortete, weil Schweigen länger hält als Mut.
Silex trat einen Schritt vor, stellte sich neben mich.
Sein Fell sträubte sich leicht, ohne Laut.
Der Mann sah den Hund an, als wäre er eine Erinnerung, die er nicht auslöschen konnte.
Dann drehte er sich um und verschwand in die Dunkelheit.
Seine Schritte hallten lange nach.
Ich wusste, dass dies eine Warnung gewesen war.
Am nächsten Tag suchte ich Irmgard erneut auf.
Sie hörte mir zu, als ich von dem Mann erzählte.
Ihre Augen verengten sich, und sie sagte, das war Martin Gerlach.
Der Name war mir nicht fremd.
Ich hatte ihn schon in den Papieren des Ordners gesehen.
Er war damals Vorarbeiter im Werk gewesen.
Irmgard nickte, als sie meinen Blick sah.
Er hatte Macht, mehr als ihm zustand.
Und er war einer der letzten, die Gernot in jener Nacht sahen.
Ihre Stimme bebte, doch sie sprach weiter.
Wenn du Antworten willst, musst du an den Rand des Waldes gehen.
Dort steht noch das alte Haus, in dem er wohnte.
Mein Herz schlug schneller.
Ein Haus am Waldrand, verlassen, voller Spuren.
Ich wusste, dass ich dorthin musste.
Am Abend machte ich mich auf den Weg.
Silex lief neben mir, seine Schritte sicher, obwohl der Boden gefroren war.
Der Himmel hing schwer über dem Harz, und die Luft roch nach Rauch.
Das Haus stand tatsächlich da, einsam, halb im Wald versunken.
Das Dach war eingestürzt, die Fenster leer, die Tür schief.
Es wirkte, als hätte die Zeit es absichtlich vergessen.
Ich schob die Tür auf.
Das Holz knarrte, und ein Schwall kalter Luft schlug mir entgegen.
Drinnen roch es nach Moder und altem Eisen.
Silex schnupperte, seine Pfoten lautlos auf den Dielen.
Ich folgte ihm, Schritt für Schritt.
In der Ecke stand noch ein Tisch, darauf ein verrosteter Lampenfuß.
Unter dem Tisch fand ich eine Blechkiste, verbeult, aber verschlossen.
Ich zögerte, dann zog ich sie hervor.
Das Schloss war alt und brüchig, ich konnte es mit einem Stein aufbrechen.
Innen lagen Papiere, lose, vergilbt.
Ich blätterte vorsichtig, und mein Herz pochte.
Es waren Listen, Zahlen, Namen von Lastwagen, die in jener Nacht unterwegs gewesen waren.
Darunter stand eine Notiz, hastig geschrieben.
Nicht über die Brücke gehen. Gefahr.
Daneben ein Zeichen, das wie ein Hakenkreuz wirkte, durchgestrichen mit schwarzer Tinte.
Mir lief ein Schauer über den Rücken.
Ich verstand nicht alles, doch ich spürte, dass Gernot mehr gesehen hatte, als er sollte.
Und dass jemand dafür sorgte, dass seine Stimme nie gehört wurde.
Plötzlich knackte ein Ast draußen.
Ich fuhr herum, das Herz im Hals.
Silex stellte sich neben mich, die Muskeln angespannt.
Im Türrahmen stand ein Schatten.
Breit, unbeweglich, nur die Augen leuchteten kurz im Restlicht.
Ich konnte nicht erkennen, wer es war.
Die Gestalt machte einen Schritt ins Haus.
Silex knurrte leise, tief, wie Donner unter der Erde.
Ich hielt die Papiere fest an mich gedrückt.
Die Stimme kam dunkel aus der Stille.
Du hast zu viel gesehen.
Dann trat der Mann ins Licht, und ich erkannte Martin Gerlach.
Sein Blick war kalt, seine Lippen fest geschlossen.
Er sah auf die Kiste, dann auf mich.
Gib her, sagte er.
Silex stellte sich vor mich, die Zähne gebleckt.
Ein Augenblick voller Spannung, als hielte die Welt den Atem an.
Ich spürte, dass dieser Moment entscheiden würde, wie tief ich noch gehen konnte.
Die Dunkelheit legte sich schwer über das Haus, und das Rauschen des Waldes klang wie eine Warnung.
Ich wusste, dass die nächste Nacht keine gewöhnliche mehr sein würde.
Morgen werde ich erfahren, wie weit Martin Gerlach bereit ist zu gehen.