Die Kette am Baum | Ein angeketteter Hund im Wald und das Familiengeheimnis, das er zurückbringt

🐾Teil 9: Der Schlag im Dunkeln

Die nächsten Tage waren von einer merkwürdigen Ruhe geprägt.
Ralf blieb in der Hütte, half beim Holzholen und Kochen, sprach aber wenig.
Nur wenn Asko in seiner Nähe war, veränderte sich etwas in seinem Gesicht, als würde er für einen Moment wieder ein Junge sein.

Henning beobachtete das still.
Er wusste, dass diese Ruhe trügerisch war.
Ahlers war nicht der Mann, der eine Niederlage hinnahm.

Am dritten Abend begann es zu schneien.
Feine, dichte Flocken senkten sich zwischen die Stämme und dämpften jedes Geräusch.
Henning schürte das Feuer, während Ralf Wasser holte.
Asko lag zusammengerollt auf seiner Decke, doch die Ohren waren wach.

Ein dumpfer Laut ließ Henning hochfahren.
Kein Tier, kein umfallender Ast, es war das Geräusch von etwas Schwerem, das zu Boden ging.
Er griff nach der Lampe und stürmte zur Tür.

Ralf lag im Schnee vor der Hütte, benommen, die Stirn blutend.
Neben ihm waren tiefe Abdrücke im Boden, die in Richtung des Waldrands führten.
Henning beugte sich zu ihm.
„Was ist passiert?“
Ralf blinzelte.
„Jemand hat mich von hinten… Asko…“

Henning wirbelte herum.
Die Decke vor dem Ofen war leer.

Er rannte den Spuren nach, das Licht der Lampe zuckte zwischen den Bäumen.
Sein Atem stand in der kalten Luft, das Herz hämmerte.
Die Spuren führten tiefer in den Wald, hin zu einem alten Schuppen, den Henning seit Jahren nicht mehr betreten hatte.

Die Tür stand offen, der Geruch von nassem Holz und Eisen schlug ihm entgegen.
Drinnen, im matten Licht, sah er Asko.
Der Hund war an einen Pfosten gebunden, die Schnauze mit einem Seil umwickelt.
Seine Augen waren weit, aber er zog nicht an der Leine.
Neben ihm stand Ahlers.

„Du lernst es nicht, Falkner“, sagte er leise.
„Manche Dinge gehören denen, die sie nehmen.“

Henning trat näher, das Licht fest auf Ahlers gerichtet.
„Lass ihn los.“
„Und wenn nicht?“
„Dann wirst du sehen, was es heißt, etwas zu verlieren.“

Ahlers grinste schief, griff nach dem Strick.
Doch in diesem Moment brach hinter ihm ein Brett.
Ralf stürzte herein, einen schweren Ast in den Händen.
Der Schlag traf Ahlers an der Schulter, ließ ihn ins Straucheln geraten.
Henning sprang vor, riss das Seil von Askos Schnauze und löste die Leine.

Asko wich nicht zurück.
Er stellte sich zwischen die Männer und Ahlers, das Fell gesträubt, die Zähne entblößt.
Ahlers wich einen Schritt zurück, der Blick zwischen Hund und Männern hin und her.
Dann spuckte er aus.
„Das ist noch nicht vorbei.“

Er verschwand in die Nacht, der Schnee schluckte seine Schritte.

Zurück in der Hütte legten sie Asko auf seine Decke.
Er war unverletzt, aber zitterte vor Anspannung.
Ralf setzte sich daneben, die Hand auf dem Fell.
„Er wusste, dass ich komme. Sonst hätte er gebellt.“
Henning nickte.
„Er wusste auch, dass Ahlers nicht allein aufgibt.“

Sie saßen lange schweigend am Feuer.
Draußen fiel der Schnee leise, deckte Spuren zu, als wolle er alles Geschehene verbergen.
Doch Henning wusste, dass das nur der Anfang war.

Manchmal ist es nicht die Kälte, die dich frieren lässt, sondern das Wissen, dass der Sturm erst beginnt.

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