🐾 Teil 9: Die Uhr tickt
Die Uhr, die nie tickte, war in seinem Brustkorb. Er wusste, dass der Arzt recht behalten würde und doch nicht alles gesagt hatte. Er nahm die kleine Holzschachtel, in der das Messingglöckchen früher gelegen hatte. Er legte ein zweites Band hinein. Für Naraq. Wenn der Tag käme, an dem der Hund nicht mehr kommen würde, sollte alles da sein, ohne Druck, ohne Bitte.
Er traf Augustin am Brunnen. Der Mann hatte eine neue Bürste. Er ölte die Bank. Seine Bewegungen waren ruhig. Sie sprachen von Zofia. Nicht von der Lücke, die sie war. Von dem, was von ihr blieb, wenn man die Augen schloss und an den Rand der Tasse fasste, den sie immer benutzte.
Lila brachte an diesem Tag ein Blatt Papier mit. Darauf stand ein sprechender Satz, den sie in der Bibliothek gefunden hatte. Orte werden, was Menschen aus ihnen hoffen. Sie hängte ihn unter die Laterne. Kinder lasen ihn und versuchten, ihn zu behalten. Manche setzten sich deshalb lieber hin, als ihn laut zu sagen.
Leopold kam später und hielt einen Brief. Eine Zusage aus der Klinik. Mehr Stunden. Mehr Arbeit. Er war froh. Er hatte Angst. Er sagte es so. Man darf Freude und Angst gemeinsam aussprechen, ohne dass eine der beiden beleidigt geht.
Naraq stand auf und ging in die Gasse. Er war unruhig. Jorin folgte. Er fand dort niemanden. Nur das Geräusch des Baches. Er stand eine Weile. Als er zurückkam, stand eine junge Frau am Brunnen. Sie hatte die Krähenfeder in der Hand. Sie sagte, sie habe Arguna am Morgen vor dem Wald gefunden. Still. Sie habe sie in ein Tuch gelegt und unter die große Eiche getragen. Sie wollte fragen, ob man heute Abend die Glocke läuten dürfe. Für einen Vogel. Jorin sagte ja. Er legte die Hand auf das Metall. Er wartete.
Die Stunde der Stille begann. Der Wind war warm. Die Glocke läutete, einmal, für Arguna. Dann noch einmal. Für alle Tiere, deren Namen man nicht weiß und die doch in den Linien unserer Tage stehen. Menschen legten Federn, Blätter, kleine Steine. Naraq legte seine Schnauze an den Haken. Er atmete dagegen. Es klang, als streiche ein Atem durch Metall.
Später, als der Platz fast leer war, setzte sich Jorin hin. Er war müde. Eine Müdigkeit, die tiefer war als Arbeit. Er sah in das Licht. Er sagte Margas Namen. Er sagte Claras. Er sagte Argunas. Er sagte seinen eigenen. Er wollte prüfen, ob alle Namen im gleichen Licht stehen. Sie taten es.
Dann fiel er gegen das Holz. Sein Kopf rutschte langsam. Kein Sturz. Ein Neigen. Leopold war bei ihm, ehe jemand rief. Lila hielt seine Hand. Er lächelte. Er sagte, dass die Uhr jetzt ticke, wie sie solle. Er schloss die Augen. Der Atem ging leise.
Er war nicht weg. Er ging nur tiefer in das Licht. Man sah es in seinen Zügen. Man sah es in den Händen, die sich nicht mehr hielten und doch Ruhe gaben. Die Laterne brannte. Die Glocke schwieg.
Und am Rand des Kreises stand Naraq. Er sah nicht weg. Er wartete, als wisse er, dass Warten eine Form von Liebe ist.