🐾 Teil 8: Die letzten Tage
Der Zug war vor drei Tagen gefahren.
Doch in Johanns Herz fuhr er weiter.
Jede Stunde. Jeder Blick auf Emil.
Der Hund lag nun fast durchgehend auf seiner Decke im Wohnzimmer.
Er trank kaum.
Sein Atem ging langsam, manchmal so leise, dass Johann nachsehen musste, ob er noch da war.
Clara kam täglich vorbei.
Keine Spritzen mehr. Nur Nähe. Nur Reden.
„Er hat keine Schmerzen. Noch nicht. Aber er geht. Langsam. Ganz ruhig.“
Johann nickte.
Mehr als das war nicht zu sagen.
In der Nacht hörte er Emil wimmern.
Nicht laut. Nur ein kurzer Ton – wie ein Tropfen auf altem Holz.
Er setzte sich zu ihm auf den Boden, streichelte ihn.
Der Hund leckte schwach über seine Hand.
Dann legte er den Kopf in Johanns Schoß.
Und so blieben sie sitzen.
Stundenlang.
Zwei Lebewesen. Ein letzter Moment.
Am Morgen rief Johann Mia an.
„Ich glaube, es ist bald soweit.“
Sie kam sofort.
Setzte sich zu Emil, hielt seine Pfote.
Sie war jung. Aber sie wusste, was Abschied bedeutete.
Dann fragte sie:
„Sollen wir es zuhause machen? Wenn es Zeit ist? Ohne Praxis, ohne Neonlicht?“
Johann sah sie lange an.
„Ja. Bitte.“
Am Nachmittag kam ein kleines Päckchen mit der Post.
Der Absender: Stadtverwaltung Bad Harzburg.
Darin: ein Schreiben, eine Urkunde.
Und ein kleines Namensschild aus Metall, goldfarben:
„Emil – Ehrengast der Gemeinde Bad Harzburg. Für treue Gesellschaft, Mut und Erinnerung.“
Johann legte das Schild auf Emils Decke.
Der Hund öffnete die Augen.
Sah es.
Dann schloss er sie wieder.
In den nächsten Tagen kam jeden Tag jemand vorbei.
Die Nachbarin brachte Kuchen.
Ein Schüler klingelte, las Johann die Zeitung vor.
Ein alter Kollege brachte eine Flasche Apfelsaft – „von früher, weißt du noch?“
Und jedes Mal beugten sie sich auch zu Emil.
Legten eine Hand auf seinen Kopf. Flüsterten etwas.
Und gingen wieder.
Leiser, als sie gekommen waren.
In der Nacht zum Sonntag lag Johann wach.
Er hörte Emil atmen. Schwer. Flach.
Dann Stille.
Er stand auf.
Setzte sich zu ihm.
Doch der Hund lebte noch. Die Brust hob sich ganz leicht.
„Du bist ein Kämpfer“, flüsterte Johann.
Dann holte er die kleine Holzkiste aus dem Schlafzimmer.
Die, in der Annas Brief lag.
Daneben: das Sparbuch. Das Armband. Und jetzt auch das Metallschild.
Er legte alles auf den Tisch.
Und dann begann er zu schreiben.
„Lieber Emil,
ich weiß nicht, ob du Briefe lesen kannst. Aber ich schreibe dir trotzdem.
Du bist gekommen, als ich vergessen hatte, wie es ist, gebraucht zu werden.
Du hast gewartet, obwohl ich niemand mehr war.
Du hast mir Anna zurückgegeben.
Du warst mehr als ein Hund.
Du warst der letzte Beweis, dass Liebe auch nach dem Tod sprechen kann.“
Er legte den Zettel neben Emil.
Und blieb sitzen.
Die Nacht war still.
Die Uhr tickte.
Am Morgen war Mia die Erste, die klingelte.
„Wie war die Nacht?“, fragte sie.
Johann öffnete langsam die Tür.
„Still“, sagte er.
Sie trat ein.
Beugte sich zu Emil.
Hörte. Fühlte.
Dann sah sie auf.
„Er ist noch da. Aber nur mit einem halben Bein.“
Gegen Mittag kam Clara.
Sie brachte eine kleine Holzkiste mit – nicht leer.
Darin: zwei Ampullen. Eine weiche Decke. Ein Briefumschlag mit dem Logo der Praxis.
„Ich bin bereit, wenn ihr es seid.“
Johann stand am Fenster.
Sah den Nebel über die Felder ziehen.
„Noch nicht“, sagte er leise.
„Aber bald.“
Er setzte sich zu Emil.
Legte die Hand auf den Rücken.
„Ich bin da. Ich geh nicht.“
Der Hund bewegte sich nicht mehr.
Aber sein Herz schlug noch.
Und das reichte.
Für jetzt.
Wird Emil in der Nacht friedlich gehen? Oder wird Johann sich entscheiden müssen? Und was bleibt – wenn der letzte Atemzug getan ist?