Aber nicht mehr so verzweifelt-leer müde wie in den Wochen nach ihrem Tod.
Eher so, wie nach einem langen Arbeitstag, an dem man etwas wirklich Wichtiges erledigt hat.
Mit der Zeit veränderte diese kleine Gruppe mehr, als ich erwartet hätte.
Eine Nachbarin meldete sich und fragte, ob jemand ihre Mutter zweimal die Woche zum Spaziergang begleiten könnte.
Ein anderer organisierte eine „Frühstücksbank“ im Hof für die älteren Mieter.
Manchmal saß ich unten auf der Mauer und sah zu, wie ein Teenager einer alten Dame den Einkaufswagen die Stufen hochtrug.
Niemand filmte es, niemand postete es.
Aber in meinem Kopf machte es Screenshots.
Dann, eines Abends, bekam ich eine Direktnachricht von jemandem aus einem anderen Stadtteil.
„Hallo Jannik, ich habe deinen Beitrag über deine Oma gesehen. Ich pflege meinen Opa und weiß oft nicht weiter. Wie hast du es geschafft, nicht daran zu zerbrechen?“
Ich starrte auf die Frage.
Früher hätte ich geantwortet: „Gar nicht. Ich war kurz davor.“
Jetzt schrieb ich:
„Ich habe angefangen, ehrlich zu sagen, dass ich müde bin. Und ich habe gelernt, Hilfe anzunehmen, statt mich zu schämen. Vielleicht fangen wir damit an, dass du mir einfach erzählst, wie dein Tag heute war.“
Wir schrieben hin und her.
Über Medikamente, über nächtliche Unruhe, über den Geruch von Desinfektionsmittel, der nicht aus der Kleidung geht.
Am Ende des Chats schickte sie nur ein „Danke“.
Aber ich konnte mir vorstellen, wie sie auf der Bettkante saß und ein bisschen weniger allein war.
Oma wird nicht mehr erleben, was aus dieser kleinen Initiative vielleicht einmal wird.
Aber manchmal, wenn ich abends auf dem Balkon stehe und die S-Bahnzüge vorbeirauschen sehe, stelle ich mir vor, wie sie im Dunkeln neben mir sitzt, mit einer Decke über den Knien.
„Du, Oma“, sage ich dann leise, „wir sind jetzt ein bisschen mehr als zwei Menschen.“
Vielleicht ist das das Einzige, was bleibt, wenn ein Leben endet:
Die Art, wie es uns verändert und wie wir diese Veränderung weitergeben.
Seit Oma tot ist, habe ich kein Pflegeheim mehr betreten.
Aber ich trage ein Stück davon in mir herum – den Geruch, die Angst, die Fürsorge.
Und jedes Mal, wenn ich jemanden frage „War dein Tag heute schwer?“, fühlt es sich an, als würde ich einen winzigen Teil dieses Gewichts mittragen.
Nicht jeder kann seine Oma nach Hause holen.
Nicht jeder sollte es.
Aber jeder kann anfangen, die Menschen um sich herum mit anderen Augen zu sehen.
Vielleicht ist das die heimliche, stille Revolution in diesem Land voller Fristen, Stempeln und Nummern:
Dass wir uns gegenseitig nicht mehr nur als Fälle betrachten, sondern als erschöpfte, hoffende Wesen, die manchmal nichts dringender brauchen als eine ehrliche Frage und ein aufmerksames Ohr.
Und wenn ich abends das Licht ausmache und die Wohnung dunkler wird, höre ich manchmal noch Omas Satz in meinem Kopf:
„Vergiss nicht, auch dich zu fragen, Jannik.“
An den meisten Tagen ist die Antwort:
Ja, ich bin müde.
Aber ich bin nicht mehr allein damit.






