Die Schwester vom roten Kreuz | Sie dachte, ihr Leben sei vorbei… bis ein namenloser Hund alles veränderte

🩺 Teil 8

Die Zeit floss dahin wie ein leiser Bach hinter dem Gartenzaun.
Kein großes Ereignis. Kein Lärm. Nur der Alltag, in dem das Leben seine leisen Spuren hinterließ.

Margarete war nun wieder ganz Teil ihrer kleinen Welt:

Ein fester Besuchsdienst bei zwei älteren Damen im Ort.
Eine wöchentliche Bastelstunde mit Lukas.

Und Emil, der ihr mit wachsender Neugier und Lebensfreude durchs Haus folgte, als wollte er alles neu entdecken – auch das, was längst vertraut war.

An einem Mittwochmorgen, als der Regen gegen die Fenster trommelte, kramte Margarete eine alte Blechdose hervor. Sie hatte sie seit Jahren nicht geöffnet.

Darauf stand in verblassten Lettern: „Unvollständiges.“

Drinnen: halbfertige Briefe. Notizen auf losen Blättern. Gedanken, die keinen Platz gefunden hatten.

Ein Zettel fiel ihr besonders ins Auge.
Er trug nur einen Satz:

„Wer heilt, muss auch lernen, loszulassen.“

Sie erinnerte sich nicht, wann sie ihn geschrieben hatte.
Aber der Satz fühlte sich jetzt wahrer an denn je.

Sie schaute zu Emil, der zusammengerollt in seinem Körbchen schlief, ein Ohr leicht zuckend.
Er war nicht Paul.

Aber er war auch kein Ersatz.
Er war… Emil. Und das war genug.


Im April lud sie eine kleine Gruppe von Nachbarskindern zu einem Erste-Hilfe-Nachmittag ein.

Sie hatte alte Stofftiere bereitgelegt, Verbände, Pflaster, ein Übungsstethoskop.

„Wir tun heute so, als wären eure Kuscheltiere krank oder verletzt“, erklärte sie mit einem Schmunzeln.

„Und ihr seid jetzt… Schwestern. Oder Ärzte. Oder Pfleger – wie ihr mögt.“

Lukas brachte einen zotteligen Esel mit, dem ein Bein fehlte.
Ein Mädchen versorgte eine Puppe mit Pflasterherzen.

Und Margarete führte geduldig vor, wie man eine Wunde säubert, eine beruhigende Hand hält, ein leises Lied summt.

Am Ende des Nachmittags kam ein Junge zu ihr und fragte schüchtern:
„Gibt’s eigentlich auch Hunde-Krankenschwestern?“

Sie lachte.
„Vielleicht. Wenn man es mit dem Herzen meint, ja.“


Am Abend, als das Haus wieder still war, holte sie ihr Notizbuch hervor.

Dieselbe Seite wie damals.
Unter ihren alten Eintrag schrieb sie eine neue Zeile:

„Vielleicht war Paul meine letzte Aufgabe.
Aber nicht mein letztes Licht.“

Sie sah zum Fenster hinaus, wo Emil im Dämmerlicht schnüffelnd den Garten erkundete.

Er bellte leise, als hätte er etwas entdeckt – oder begrüßte jemand Unsichtbares.

Margarete stand auf, öffnete die Terrassentür, trat hinaus.

„Na, was hast du gefunden?“

Emil lief zu ihr, in der Schnauze ein zerfetztes Seidentuch – blassrosa, kaum noch als solches zu erkennen.

Sie nahm es ihm ab.
Betrachtete es.

Und erinnerte sich.
Eine Patientin. Damals. Krebserkrankung im Endstadium.

Sie trug genau so ein Tuch.
Es war ihr einziger Wunsch gewesen, dass jemand es aufbewahrt.

Margarete hatte es einst eingesteckt.
Dann vergessen.

Doch nun… brachte Emil es zurück.

Sie hielt das Tuch ans Gesicht.
Und ein tiefer Frieden durchströmte sie.

Manches kehrt zurück, wenn man bereit ist zu empfangen.


Später, im Bett, ließ sie die Fensterläden einen Spalt offen. Der Wind trug den Duft von blühenden Apfelbäumen herein. Emil lag an ihrer Seite, der Kopf an ihrem Fußende.

Und sie flüsterte, bevor sie einschlief:

„Danke, Paul.
Und danke, Emil.
Ihr seid beide Teil von mir.
Und ich bin… angekommen.“

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